27.04.2016, 15:54 Uhr

Der Schlüssel zum Dazugehören 04/2013

Deutschkenntnisse sind die Grundlage jeder erfolgreichen Integrationsgeschichte in Österreich. ZUSAMMEN:ÖSTERREICH über Versäumnisse der Vergangenheit, neue Lösungen und Potenziale für die Zukunft.

Eine Packung Brotkrümel bitte", sagt die Dame mit Akzent. "Wie bitte?", fragt die Greißlerin über den Tresen und runzelt die Stirn. "Brotkrümel", wiederholt die Kundin verlegen und zieht ein Wörterbuch aus ihrer Tasche. Die Greißlerin ist ratlos: "Was wollen Sie denn kochen?" "Ein Schnitzel!", antwortet die Dame. "Ach so!", lacht die Greißlerin, "Semmelbrösel meinen Sie!"

Deutschkenntnisse nachholen

Diese Geschichte ist Gloria Paminger tatsächlich passiert. "Ich kannte das englische 'breadcrumbs' und habe es mit dem Wörterbuch wörtlich übersetzt", erinnert sich die Philippinerin an eine von unzähligen Alltagssituationen, in denen sie bemerkte, wie wichtig Sprachkenntnisse sind. Vor gut zwanzig Jahren zog sie zu ihrem Ehemann nach Kollnbrunn im Bezirk Gänserndorf und begann sofort zu arbeiten. "Ich habe mir das Wichtigste selber beigebracht. Für einen Deutschkurs hatte ich damals keine Zeit", sagt Paminger. Heute holt sie das nach: In einem Kurs verbessert sie ihre Sprachkenntnisse auf B2-Niveau - die vierthöchste von insgesamt sechs Stufen.

Zugang zur Gesellschaft

Die Bedeutung von Deutschkenntnissen für ein Leben in Österreich könne gar nicht überschätzt werden, betont Ilan Knapp: "Ich vergleiche das mit einem Hotelzimmer", sagt das Mitglied im Expertenrat für Integration, der die Regierung in Integrationsfragen berät, "wenn ich hineinwill, brauche ich einen Code. Für die österreichische Gesellschaft ist dieser Code die deutsche Sprache." Das sieht auch die Bevölkerung so: Auf die Frage nach den zielführendsten Integrationsmaßnahmen kommen Deutschkurse mit einer Zustimmung von 92 Prozent auf Platz eins (siehe Diagramm unten). Zu den Top Fünf zählt auch die Verbesserung der Bildungschancen von Migranten, die eng mit deren Sprachkenntnissen zusammenhängt. "Wer kein Deutsch spricht", sagt Ilan Knapp, "kann sich nicht einbringen, wird nicht Teil der Gesellschaft."

"Wer kein Deutsch spricht, kann sich nicht einbringen, wird nicht Tel der Gesellschaft." Ilan Knapp, Expertenrat für Integration

"Für einen Job brauche ich Deutsch"

Dazugehören will auch Oleg Golodnyak, der aus der Ukraine zum Studium der "Global Studies" nach Wien gekommen ist. "Meine Vorlesungen sind zwar auf Englisch, aber ich möchte trotzdem gut Deutsch lernen", sagt er, "um hier Freunde und irgendwann einen Job finden zu können, muss ich die Sprache können." Golodnyak hat sie als Jugendlicher zwar zwei Jahre lang gelernt, "aber ich war ein eher fauler Schüler und habe den Unterricht nicht sehr ernst genommen. Ich wusste ja nicht, dass ich Deutsch einmal brauchen würde." Umso mehr strengt er sich jetzt an, im selben B2-Kurs wie Gloria Paminger: "Das Niveau ist hoch und ich bin nach nur einem Jahr in Wien manchmal etwas überfordert. Aber wer gefordert wird, lernt schneller."

Herausforderung Dialekt

Dennoch steht Oleg Golodnyak im Alltag noch vor mancher Hürde: "Ich kenne viele Wörter nicht und verstehe nicht alles, vor allem dann, wenn die Leute zu schnell oder Dialekt sprechen." Dieses Problem kennt auch Jan Cernek, Kursleiter beideutschinstitut.at: "In Österreich sprechen viele Menschen einen relativ starken Dialekt. Auch gute Schüler verstehen bei Alltagsgesprächen manchmal fast nichts - und sind dann verzweifelt." Eine weitere Schwierigkeit ist die komplexe deutsche Grammatik: "Die vier Fälle überfordern viele", sagt Cernek. "Dativ und Akkusativ fallen mir beim Zeitunglesen erst auf, seit ich den Kurs besuche", bestätigt Gloria Paminger, "vorher waren mir die Fälle ein Rätsel."

Erfolgsrezept: Teamwork und Humor

Damit seine Kursteilnehmer möglichst viele Rätsel lösen, lässt Cernek sie gerne zusammenarbeiten. "Einer ist vielleicht seit zehn Jahren hier, kann viele Vokabeln, hat aber Grammatikschwächen. Eine andere hat die Grammatik perfekt intus, sucht aber oft nach passenden Wörtern", erklärt Cernek, "wenn ich sie zusammen einen Text schreiben lasse, ergänzen sie sich perfekt und lernen voneinander." Auch scheinbare Kleinigkeiten tragen dazu bei, möglichst gute Lernbedingungen zu schaffen: "Ein kleiner Witz, der die Stimmung auflockert, kann Wunder wirken", meint Cernek, "in einer entspannten Atmosphäre lernt man am besten."

Lernmöglichkeiten schaffen

Auch auf politischer Ebene müssen die Rahmenbedingungen stimmen, damit Migranten die sprachliche Integration mög lichst gut gelingt. Doch lange Zeit wurden Neuzuwanderer in Österreich sich selbst überlassen, es gab kein systematisches Angebot an Deutschkursen. Erst seit wenigen Jahren sind Zuwanderer aus Nicht- EU-Staaten verpflichtet, bereits im Herkunftsland grundlegende Deutschkenntnisse auf A1-Niveau (siehe Kasten rechts) zu erwerben. In Österreich angekommen, gehen sie eine Integrationsvereinbarung ein, die eine weitere Verbesserung des Sprachniveaus vorsieht. Um eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, müssen sie B1-Niveau erreichen. Sind damit alle Probleme gelöst? "Die Deutschpflicht ist auf jeden Fall ein großer Fortschritt", meint Experte Ilan Knapp, "aber das Bewusstsein der Zuwanderer für die Bedeutung der Sprache ist in Österreich oft nicht so ausgeprägt wie in klassischen Zuwanderungsländern, etwa Kanada und Australien. Wir müssen Migranten noch klarer vermitteln: Ohne Deutsch geht's nicht." Umgekehrt sei Österreich gefordert, ideale Möglichkeiten zum Spracherwerb zu schaffen. Deutschkurse sollen laut Knapp attraktiv sein und keine finanzielle Hürde für die Zuwanderer darstellen: "Wenn alle Migranten die Sprache gut sprechen und sich in den Arbeitsmarkt einbringen können, profitiert die Gesellschaft in weit höherem Maß, als die Kosten für Deutschkurse wiegen."

Versäumnisse seit den 60ern

Während es für Neuzuwanderer klare Regeln für das Deutschlernen gibt, leben andere oft seit Jahrzehnten mit geringen Sprachkenntnissen im Land: Österreich warb ab den 1960ern hunderttausende Gastarbeiter an, die als ein zentraler Motor von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder auch unseren heutigen Wohlstand mitbegründeten. Niemand ging davon aus, dass diese Zuwanderer dauerhaft in Österreich bleiben würden, weshalb das Thema Sprache damals nicht im Mittelpunkt stand - ein Versäumnis, das heute von allen Seiten bedauert wird. Ganz ähnlich ist die Lage in Deutschland, weiß Aygül Özkan. Die Tochter türkischer Gastarbeiter der ersten Generation schaffte es im Bundesland Niedersachsen bis ins Amt der Integrationsministerin. "Damals wurde leider der Fehler gemacht, den Menschen kein strukturiertes Deutschkursangebot zu machen", sagt sie, "sie haben dann nur selten gut Deutsch gelernt. Auch bei den Altzuwanderern gibt es Förderbedarf."

"Es ist eine Bringschuld der Migranten, Deutsch zu lernen - aber der Staat muss die Möglichkeit dazu bieten." Aygül Özka, Ex-Integrationsministerin in Niedersachsen.

Hunderttausende Freiwillige

Mit attraktiven Angeboten kann man Altzuwanderern das Deutschlernen schmackhaft machen, ist Özkan überzeugt. In Deutschland, so berichtet sie, haben in den letzten Jahren 720.000 Menschen freiwillig und mit Selbstkostenanteil Deutsch gelernt. Sie taten das im Rahmen von Integrationskursen, die eigentlich für Neuzuwanderer geschaffen worden waren, und stellten dort sogar den Großteil der Teilnehmer. "Die große Gruppe der bereits seit vielen Jahren in Deutschland lebenden Migranten hat die Kurse bereits durchlaufen", freut sich Özkan, dass so oft jahrzehntelange Versäumnisse wettgemacht wurden. Zwei Drittel dieser Freiwilligen am Integrationskurs sind Frauen: "Sie sind eine besonders wichtige Zielgruppe", freut sich Özkan, "weil sie häufig ihre Kinder in der Schule unterstützen und damit einen Multiplikatoreffekt haben."

Sprachportal bündelt Angebote

Auch für die deutsche Integrationspolitikerin ist klar: "Es ist eine Bringschuld der Migranten, Deutsch zu lernen." Fehle die Bereitschaft, eine Sprache zu lernen, könne auch die beste Förderung nichts erreichen, meint Özkan, "aber auch der Staat muss beitragen und verstärkt Möglichkeiten zum Spracherwerb bieten." Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist in Österreich das Sprachportal, das der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) im letzten Jahr startete. Auf <link http: www.sprachportal.at>www.sprachportal.at finden Zuwanderer alle zertifizierten Sprachkursangebote in ganz Österreich, können online Deutsch lernen und sich auf Prüfungen vorbereiten und kostenlose Lernmaterialien herunterladen.

Berufs-Deutschkurse als Zukunft

Für eine erfolgreiche Integration brauchen Zuwanderer aber nicht nur Deutsch für den Alltag, sondern auch spezielle Sprachkenntnisse, die sie für hochqualifizierte Berufe fit machen. "In Bereichen, in denen wir Fachkräfte brauchen, etwa der Pflege oder der Technik, ist ein entsprechendes Vokabular die Voraussetzung für einen Job", weiß Franz Wolf-Maier, Geschäftsführer des ÖIF, welcher in seinen Integrationszentren berufsspezifische Deutschkurse anbietet. Auch Gloria Paminger, die gerade in Wien ihr Deutsch verbessert, möchte mit gesteigerten Sprachkenntnissen in erster Linie ihre Jobchancen erhöhen. "Ich habe ein deutsches Lieblings-Sprichwort", erklärt sie, "es lautet: 'Man spannt den Wagen nicht vor dem Pferd.' Für mich bedeutet das, dass ich zuerst gut Deutsch lernen muss, bevor ich in Österreich Karriere machen kann."

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