Jörg Baberowski über die Folgen von Gewalt für das Zusammenleben

"Presse" Chefredakteur Rainer Nowak, Jörg Baberowksi und ÖIF-Geschäftsführer Franz Wolf (v.l.) im Auditorium des Leopold Museum
Am 7. Juni war Historiker, Buchautor und Gewaltforscher Jörg Baberowski zu Gast bei der ÖIF-Gesprächsreihe „Gesellschaft im Wandel: Was hält uns zusammen?“. Im Auditorium des Leopold Museums sprach er vor über 120 Gästen gemeinsam mit Moderator Rainer Nowak, Chefredakteur der Tageszeitung „Die Presse“, über die Bedeutung des staatlichen Gewaltmonopols als Basis des friedlichen Zusammenlebens, Grenzen des Sozialstaats und darüber, wie liberale Gesellschaften durch Angst und Misstrauen zerstören werden können.
Staatliches Gewaltmonopol und Vertrauen als Basis des Zusammenlebens
Ein funktionierender Rechtsstaat und das staatliche Gewaltmonopol seien Voraussetzungen dafür, dass ein gewaltfreies Zusammenleben möglich sei, so der Gewaltforscher Baberowski: „Wenn jeder vor dem Gesetz gleich ist, muss er keine Gewalt anwenden, um seine Interessen durchzusetzen. Das staatliche Gewaltmonopol ermöglicht es erst, dass wir uns im öffentlichen Raum ohne Angst bewegen können.“ Wenn diese staatliche Ordnung wie in den 1990er Jahren in der ehemaligen Sowjetunion zerfalle, werde Gewalt zur Handlungsoption des Einzelnen: „Diese Erfahrung haben auch viele Flüchtlinge gemacht, die aus vom Krieg zerstörten Gesellschaften nach Europa kommen. Viele kennen kein staatliches Sicherheitssystem und misstrauen staatlichen Institutionen.“ Hier brauche es gezielte Maßnahmen zur Integration und ein starkes Auftreten des Staats. „Eine Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn es ein gemeinsames Verständnis der geltenden Regeln und Gesetze gibt, das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft schafft.“
Klar definiert müssten auch Grenzen sein, die das Sicherheitssystem des Staates sowie den Sozialstaat erst möglich machen, so Jörg Baberowski: „Der Sozialstaat ist ohne Nationalstaat nicht möglich und kann in einem grenzenlosen Staat auf lange Sicht nicht funktionieren. Zuwanderung muss deshalb gesteuert werden und klaren Zielen folgen.“ Auch müsse uns bewusster werden, dass Integration ein langer Prozess sei: „Wenn ein 25-Jähriger allein, ohne Sprachkenntnisse oder Schulbildung nach Europa kommt, liegt ein langer Weg vor ihm. Frustration kann diese Menschen in die Arme von Extremisten oder Kriminellen treiben. Gerade junge Männer brauchen deshalb Chancen und Verwurzelung – das ist eine große Herausforderung für das Zusammenleben in der Zukunft.“
Gesprächsreihe „Gesellschaft im Wandel: Was hält uns zusammen?“
Im März 2017 startete der ÖIF gemeinsam mit der Tageszeitung „Die Presse“ die neue Gesprächsreihe „Gesellschaft im Wandel: Was hält uns zusammen?“. Mit der Veranstaltungsreihe stellt der ÖIF Fragen des Zusammenlebens, der Identität, Kultur und Religion in den Mittelpunkt und lädt dazu internationale Expert/innen nach Wien ein. Als erster Gast sprach Philosoph Rüdiger Safranski über Identität, Vertrauenskapital und die Notwendigkeit einer offenen Diskussion über Integrationsherausforderungen. Die nächste Veranstaltung der Reihe wird am 10. Oktober 2017 mit Philosoph Konrad Paul Liessmann stattfinden.