07.06.2019, 13:10 Uhr

„Missverhältnis von privater Zuversicht und kollektivem Pessimismus als Gefahr für gesellschaftlichen Zusammenhalt“

Philosoph Sloterdijk im Gespräch mit „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak über die Auswirkungen von Digitalisierung und Migration auf die Gesellschaft.

V.l.n.r.: Herwig Hösele (Generalsekretär des Zukunftsfonds der Republik Österreich), Peter Sloterdijk, Roland Goiser (stv. ÖIF-Direktor) und Rainer Nowak (Moderator) © Lukas Rauch

Am 6. Juni sprach der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk gemeinsam mit Rainer Nowak (Chefredakteur „Die Presse“) über die Auswirkungen von Digitalisierung und Migration auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Podiumsgespräch des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) fand im Rahmen des Pfingstdialogs 2019 auf Schloss Seggau statt.

„Wir haben kein emotionales Register für Risiken, das erzeugt gesellschaftlichen Dauerstress“

„Wir leben in guten Zeiten, sofern wir das Glück haben, in Österreich oder Europa geboren zu sein“, betonte Peter Sloterdijk. Es gebe jedoch eine Schere zwischen objektiv sinkenden Kriminalitätsraten und subjektiv steigenden Unsicherheitsgefühlen. „Wir begehen einen emotionalen Fehler, die Welt für schlechter zu halten, als sie ist. Wir arbeiten mit privater Zuversicht, aber mit kollektivem Pessimismus“, so Sloterdijk. Der Eindruck, in schlechten Zeiten zu leben, entstehe dann, wenn Hunger, Krankheit oder Krieg eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben darstellten. „In Europa leben wir in der längsten Friedensperiode, die es in Europa je gegeben hat. Dadurch scheinen wir jedoch verlernt zu haben, Gefahr und Risiko zu unterscheiden. Während Gefahr eine bedrohende Instanz in unmittelbarer Nähe darstellt, sind Risiken scheinbar drohende Ereignismöglichkeiten – für diese haben wir aber kein Organ, finden kein emotionales Register dafür.“ Die europäischen Gesellschaften verwechselten Risiken mit Gefahren, das erzeuge permanenten Stress. „Migration ist ein solches Risiko, das emotional in das Register der Gefahr übernommen wird. Dann entstehen Emotionen, die mit dem eigentlichen Risikopotenzial nichts zu tun haben.“ Es sei bedrohlich, dass sich viele Menschen bedroht fühlten. „Es kommt dann zu einer Selbstwahrmachung der Fiktion – ich glaube an diese Macht der Fiktion.“

„Soziale Medien als neue Kategorie der Apokalyptischen Reiter“

Insbesondere sogenannte Soziale Medien spielten laut Sloterdijk eine entscheidende Rolle für das erhöhte Bedrohungsgefühl in der Gesellschaft. Soziale Netzwerke könnten als neue Kategorie der Apokalyptischen Reiter angesehen werden, die als infektiöse Kanäle fähig seien, Epidemien auszulösen: „Nachrichten und Mikroben haben gleiche Eigenschaften, sie haben die Kraft, Menschen zu infizieren. Das menschliche Hirn ist unglaublich leicht zu infizieren. Medien machen dazu täglich zahllose Erregungsvorschläge.“ Heutige Massenmedien seien von Beginn an vom Erregungsmoment geprägt gewesen. „Papier ist der subversivste Massenartikel. Wir erhalten ein falsches Bild des Buchdrucks, wenn wir davon ausgehen, dass die gedruckte Bibel das erste Medienerzeugnis war. Die billige Produktion hoher Auflagen gedruckter Blätter, gefüllt mit Sensationen, war die große Umwälzung des 15. Jahrhunderts. Die gedruckte Presse hat als Medium begonnen, in dem Kämpfe von fanatischen Religionsgruppen ausgetragen wurden. Papier ist stoffliche Basis der Utopie.“

„Europa kann nur durch Schule der Weltläufigkeit von sich selbst überzeugt werden“

„Wir haben leider keine europäische Medienöffentlichkeit entwickeln können, Medien sind immer noch stark nationalstaatlich geprägt. Selbst im Äther sind die Schlagbäume noch sichtbar“, so Peter Sloterdijk zur Entwicklung der europäischen Medienlandschaft. Das europäische Grundtrauma sei der Niedergang der großen Imperien: „Dort wo Imperien waren, sind heute nur noch Nationen oder Länder.“ Nationalismus sei ein Phänomen des europäischen Phantomschmerzes. „Europa kann aber nur durch Schule der Weltläufigkeit von sich selbst überzeugt werden. Nur durch Mehrsprachigkeit und der Teilhabe am Leben der Nachbarn können wir versuchen, das zu werden, was Nietzsche als den ‚guten Europäer‘ bezeichnet hat.“

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