Neues ZUSAMMEN-Magazin: Migrationsforscher Knaus über steigende Flüchtlingszahlen und zunehmend geringe Bildung
Die Flüchtlingszahlen steigen weiter an: Bis 31. Oktober 2022 wurden in Österreich 15.509 Personen Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt, was einem Zuwachs von 26 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres (12.308 Gewährungen) entspricht. Die meisten dieser Personen stammen im Jahr 2022 aus Syrien, Afghanistan, Somalia und dem Iran. Damit einher geht ein Anstieg bei der Zahl der Asylanträge: Von Jänner bis einschließlich Oktober 2022 wurden in Österreich rund 90.000 Asylanträge gestellt; bis Jahresende werden über 100.000 Asylanträge erwartet, die Gesamtzahl wird somit deutlich über der Gesamtzahl des Jahres 2015 (88.340) liegen. Viele Anträge werden von Personen aus Ländern gestellt, aus denen es keine reale Chance auf Asyl gäbe, erklärt der Soziologe und Migrationsforscher Gerald Knaus in der aktuellen Ausgabe des ZUSAMMEN-Magazins des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF): „Österreich ist eine rechtsstaatliche Oase am Rande einer Asylwüste in Südosteuropa. So suchen seit Monaten Tunesier, Pakistani oder Inder an der Grenze um Asyl an, die gar kein Asylverfahren in Österreich anstreben. Das macht die Schweiz an ihrer Grenze anders."
Rund 3 von 10 Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigte 2022 weiblich
Stark gesunken ist der Anteil von Frauen unter den Asylwerber/innen: Von 100 Anträgen werden im Schnitt nur 8,7 von Frauen gestellt, 2018 waren es viereinhalb Mal so viele (39,6%). „Über die Außengrenzen der EU zu kommen, ist heute gefährlicher denn je“, vor allem für Frauen und Kinder, betont Knaus: „Diese Art der Flucht versuchen eher junge Männer in Europa und weltweit. Das unausgewogene Verhältnis von Männern und Frauen zeigt, dass es keine sicheren legalen Wege mehr gibt. Für ein gerechtes System, das Schutz vergibt, ist das höchst beunruhigend.“ Entsprechend gering ist auch der Frauenanteil bei den Zuerkennungen von Asyl- und subsidiärem Schutz: 2022 liegt dieser Wert bei 30,3 Prozent.
Alphabetisierungsbedarf bei schutzberechtigten Männern: seit 2019 Anstieg um 80 Prozent
Stark zeichnet sich auch der sinkende Bildungsstand unter asyl- und subsidiär Schutzberechtigten ab: 7 von 10 Personen, die 2022 in Österreich Asyl erhielten und Deutschkurse nach dem Integrationsgesetz in Anspruch nahmen, hatten einen Alphabetisierungsbedarf – rund die Hälfte davon beherrschte das lateinische Alphabet nicht, die andere Hälfte hatte auch in ihrer Herkunftssprache nicht schreiben gelernt. Im Vergleich zum Jahr 2019 entspricht dies einer Steigerung um die Hälfte; bei Männern fällt der Anstieg mit 80 Prozent besonders hoch aus. Eine mögliche Erklärung sieht Gerald Knaus darin, dass die jüngeren Flüchtlinge aus Syrien in den letzten Jahren keine ausreichende Schulbildung erhalten haben: „Viele, die jetzt zu uns kommen, waren außerdem die letzten zwei, drei Jahre in griechischen Lagern wie Lesbos, davor lebten sie schon in der Türkei oder in Syrien im Krieg. Für viele sind das verlorene Jahre, eine verlorene Jugend, und das erschwert es, auf eigenen Beinen zu stehen. Es erschwert die Integration und die Aussicht auf ein erfolgreiches Leben.“
Ausbau Alphabetisierungs-Kursplätze und Weiterbildungsprogramme
In Kooperation mit den Kursträgern setzt der ÖIF eine Reihe von Maßnahmen mit dem Ziel um, dem steigenden Alphabetisierungsbedarf Rechnung zu tragen. Gemeinsam mit internationalen Expertinnen und Experten entwickelte der ÖIF ein eigenes Rahmencurriculum für Alphabetisierungskurse. Damit werden einheitliche hohe Qualitätsstandards gesetzt. Bereits im Vorjahr wurde der Umfang der Kurse an das sinkende Bildungsniveau der Zielgruppe angepasst. Ein spezifisches Weiterbildungsprogramm stellt sicher, dass Lehrkräfte in Alphabetisierungskursen bestmöglich für die Arbeit mit Personen mit niedrigem Bildungsstand geschult sind. Trainer/innen erhalten zudem fachliche Weiterbildungen zur Deutschvermittlung und zu Lernstrategien für langsam Lernende und Deutschlernende mit Alphabetisierungsbedarf und/oder niedrigem Bildungsstand.
ZUSAMMEN-Magazin beleuchtet Herausforderungen am österreichischen Arbeitsmarkt
Die Integrationsherausforderungen am österreichischen Arbeitsmarkt sind Thema der neuen Ausgabe von ZUSAMMEN, dem Multiplikator/innen-Magazin des Österreichischen Integrationsfonds zu aktuellen Fragen und Herausforderungen von Integration und Migration. Neben dem Interview des Autors und Migrationsforschers Gerald Knaus bietet es fundierte Zahlen, Daten und Fakten sowie Portraits von Zuwander/innen, die auch trotz noch geringer Deutschkenntnisse den Schritt auf den Arbeitsmarkt geschafft haben und Tipps für Multiplikator/innen und ehrenamtlich Engagierte. Das Magazin ZUSAMMEN wird vom Österreichischen Integrationsfonds herausgegeben und erscheint viermal jährlich in einer Auflage von 50.000 Stück. ZUSAMMEN steht digital in der ÖIF-Mediathek zur Verfügung.