30.05.2023, 14:12 Uhr

ÖIF bei Pfingstdialog: Peter Sloterdijk über Europa, Ukraine und Herausforderungen von Nationalstaaten

Philosoph Peter Sloterdijk im Gespräch mit Redakteur Thomas Mayer; Podiumsgespräch mit internationalen Expert/innen zu aktuellen Themen in Europa

©Fischer.

v.l.n.r.: Prof. Herwig Hösele, Koordinator der Reihe Geist & Gegenwart, Barbara Eibinger-Miedl, steirische Landesrätin für Wirtschaft, Tourismus, Regionen, Wissenschaft und Forschung, Peter Sloterdijk, Philosoph, Franz Wolf, Direktor des ÖIF. © Fischer.

Am 25. Mai sprach der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk auf Einladung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) beim 11. Steirischen „Geist & Gegenwart“-Pfingstdialog auf Schloss Seggau mit dem Europakorrespondenten Thomas Mayer („Der Standard“) über europäische Werte und Identität, den Ukrainekrieg sowie historische Auswirkungen auf aktuelle Geschehnisse in Europa. Vor dem Hintergrund seines neuen Buches „Die Reue des Prometheus“ verband Sloterdijk Themen der griechischen Mythologie mit Phänomenen der Gegenwart; über die industrielle Revolution hin zur heutigen europäischen Entwicklung mit all seiner Vielschichtigkeit und seinen Herausforderungen. Die großen Herausforderungen, die Europa derzeit zu meistern hat, standen im Zentrum des 11. Steirischen „Geist & Gegenwart“-Pfingstdialog auf Schloss Seggau, dessen Kooperationspartner der ÖIF ist.

„Der moderne Nationalstaat ist ein Relikt“
Peter Sloterdijk, der als wichtigster Intellektueller im deutschsprachigen Raum gilt, sprach unter anderem über das Wesen der Nationalstaaten: „Der moderne Nationalstaat ist, was seine territoriale Substanz angeht, sehr häufig das Relikt einer, noch unter monarchischen Zeiten stattgefundenen, Expansion und wir füllen diese monarchischen Übergrößen mit demokratischen Inhalten.“ Die europäischen Nationalstaaten hätten im 19. Jahrhundert die neuen Möglichkeiten zum Industrialisieren des Krieges genutzt, um effizientere Kriegsführung betreiben zu können. Das betraf die Bereiche Schiffbau und Artillerietechnik und führte letztlich zur Entstehung der Formel: „Ich schade dir aus der Ferne.“ Nach Sloterdijk zeigt sich heute, nach dem Ende des kalten Krieges, ein neues Wettrüsten und die Bildung neuer Formationen: „Nach der Implosion der europäischen Möglichkeiten, den Nachbarn aus der Ferne zu schaden, wie im kalten Krieg und indem sich jetzt vorbereitendem neuen quasi Weltkrieg zwischen den Großmächten, bilden sich neue Formationen dieser Formel aus.“

Europäer ist, wer teilnimmt an diesem postimperialen Projekt
In Bezug auf die europäische Identität sagt Sloterdijk: "Europäer ist, wer teilnimmt an diesem postimperialen Projekt." Dabei gelte es, auf imperialistische Strukturen zu verzichten und eine koexistente, friedliche Zusammenarbeit unter europäischen Staaten anzustreben. Das Gegenteil geschehe etwa in der Türkei unter Erdogan, da dort eine neue post-türkische Ideologie vorherrscht, im Iran mit seinem religiös geprägten Imperiumsversuch und an der polnische Ostgrenze, die in imperialistisches Territorium führt. Vor dem Hintergrund historischer Zusammenhänge und der aktuellen Situation in der Ukraine diskutierte Sloterdijk die Bedeutung der europäischen Verteidigungspolitik: „Niemand hat in den 60er, 70er und 80er die Implosion der Sowjetunion vorhergesehen. Niemand hat vorhergesehen, dass es eine postsowjetische Nationenproblematik wieder geben könnte und niemand hat vorhergesehen, dass es eine Notwendigkeit geben könnte noch einmal eine substanzielle revidierte europäische Verteidigungspolitik zu betreiben.“

Die meisten Staaten sind heute falsch formatiert“
Ebenso äußert sich Peter Sloterdijk zu der aktuellen politischen Lage und der historischen Rolle von Staaten. Er bekräftigt, dass eine ökologische Reformation aller politischen Strukturen notwendig sei, da die meisten Staaten falsch formatiert seien und es keine fremden Länder mehr zu erobern gebe. Dabei betont er, dass die Plantagenwirtschaft nie ein Ende genommen habe, sondern dass die ehemaligen Plantagenarbeiter nun Bürger seien: „Die Staaten können nur als Fiskalplantagen für die eigene Population betrieben werden. Der staatliche Plünderungsimperativ ist bis heute an die fiskalische Selbstverwaltung gegangen. Wir haben die Situation, zu mindestens in einigen europäische Ländern, dass die Hälfte des Sozialproduktes von sozialen Fiskalstaaten abgeerntet werden.“ Sloterdijk ist ebenfalls der Ansicht, dass die bekannte Form der Staatlichkeit keine sehr nachhaltige Zukunft habe, da der Staat selbst nicht nachhaltig sei. Als Lösungsansatz sieht er daher vorerst die europäische Union als Kollektiv.

Insiemegruppe zu Arbeitsmarkt und Migration: „Wir brauchen geregelte Zuwanderung“
Bereits am Donnerstagvormittag hatte eine Insiemegruppe unter Moderation von Rudolf Mitlöhner (Kurier) auf Schloss Seggau getagt. Dort herrschte Konsens an der Notwendigkeit geregelter Zuwanderung: Die hochkarätige Besetzung - von Rainer Münz, Migrationsexperte und Michael Spindelegger, Generaldirektor Internationales Zentrum für Migrationspolitikentwicklung über Sonja Ziganek, Gesamtleitung Integrationsprogramme im ÖIF bis hin zu Markus Tomaschitz, Personalchef beim Automobilzulieferer AVL und Almina Besic, Mitarbeiterin der Johannes Kepler Universität Linz, war sich ebenfalls einig, dass Zuwanderung nicht mit der Asylthematik vermengt werden soll. Eine Frage, die auch mehrfach angesprochen wurde: Sind wir – Österreich und Europa generell – attraktiv genug für Hochqualifizierte und Leistungsbereite?

Über Peter Sloterdijk
Der renommierte deutsche Philosoph und international erfolgreiche Autor betrachtet regelmäßig in seinen Veröffentlichungen kritisch die aktuellen Entwicklungen in Gesellschaft, Religion und Wirtschaft. Gemeinsam mit Rüdiger Safranski lud er zehn Jahre lang zur ZDF-Gesprächsrunde „Das Philosophische Quartett“. Seit 2005 ist er Träger des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst. Sloterdijk nahm in den letzten Jahren bereits mehrfach an vom ÖIF organisierten Diskussionsrunden teil.

 

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