06 Parallelgesellschaften

„Bildungsferne und Hochqualifizierte integrieren sich nicht – in Istanbul oder Damaskus ebenso wenig wie in Paris, London oder New York.“

Interview mit Gunnar Heinsohn

Gunnar Heinsohn sieht vor allem den Unterschied im Bildungsgrad als entscheidend für das Entstehen von Parallelgesellschaften. Er warnt davor, dass der Frieden nach innen und die Wettbewerbsfähigkeit nach außen in Gefahr sind, wenn mehr unqualifizierte Personen als benötigt einwandern.

Wie genau definieren Sie Parallelgesellschaften?

Lassen Sie es mich anhand eines Beispiels versuchen: Ein warmes Frühlingswochenende überstrahlt das Benchmark-Projekt für Integration. Zwei Gruppen von je 500 Alteingesessenen sind auf Kosten der Behörde in den schönen Hotels der Altstadt untergebracht. In allen Restaurants, Theatern, Kinos und Museen können sie mit unbegrenzt verfügbaren Vouchern bezahlen. Die beiden Gruppen haben helle Gesichter und blonde bis brünette Haare. Sie gehören derselben christlichen Konfession an. Es gibt auf jeder Seite gleich viel unverheiratete Männer und Frauen. Sie kommen aus unterschiedlichen Landesteilen und kennen einander bislang nicht. Sie pflegen – allerdings mit unterschiedlichen Dialektfärbungen – durchweg Deutsch als Muttersprache. Ihr Alter zwischen 20 und 30 Jahren garantiert die erwünschte Unternehmungslust und Aufgeschlossenheit. Fünf Jahre nach dem herrlichen Wochenende wird der Integrationserfolg gemessen. Wie viele aus der einen Gruppe gehen mit Mitgliedern der anderen Gruppe zum Essen, in Konzerte oder zu Sportereignissen? Wie viele kommunizieren in Social Networks? Sind gemeinsame Start-ups gegründet geworden? Wie viele von ihnen haben Paare gebildet oder sind gar miteinander verheiratet und fahren mit ihren noch kleinen Kindern gemeinsam auf Urlaub? Liegt die Trennungsrate über dem Durchschnitt oder sind sie glücklicher als die meisten?

Spannende Fragen. Jetzt bin ich wirklich gespannt.

Das Ergebnis gibt Rätsel auf. Auf fast alle Fragen gibt es Null-Ergebnisse. Die beiden Gruppen bleiben in Parallelgesellschaften und getrennten Wohnvierteln. Ein paar kurze Liebschaften und sogar ein paar damit verknüpfte Handgreiflichkeiten werden erhoben. Einige Mitglieder der zweiten Gruppe sind Patienten bei Ärzten aus der ersten Gruppe. Aber eine Integration im persönlichen Bereich hat nicht stattgefunden. Nach langem Suchen wird ein oberflächlich nicht erkennbarer Unterschied zwischen beiden Gruppen entdeckt. Nach noch mehr Zeit und viel Zögern wird er schließlich auch bekannt gegeben. Die 500 Testpersonen der ersten Gruppe hatte man aus einer Datei aktueller und ehemaliger Exzellenzstudenten gezogen, während die 500 der zweiten Gruppe einer Schulabbrecher-Datei entnommen wurden. Aus der Kompetenzdifferenz ließen sich die erhobenen Befunde ohne Schwierigkeiten erklären. Ethnisch, religiös und sprachlich optimale Passungen führten keineswegs zu Integration.

Das heißt, nicht Fremdenfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus haben die Gruppen getrennt, sondern ihr jeweiliger Bildungsgrad?

Diese Kampfbegriffe wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus erhellen wenig und sollen diejenigen zum Schweigen bringen, die das Scheitern der Politik offenbaren: Bildungsferne und Hochqualifizierte integrieren sich nicht – in Istanbul oder Damaskus ebenso wenig wie in Paris, London oder New York. Würden die Regierungen in Wien oder Berlin tatsächlich einmal nationale Gipfel einberufen, um kernösterreichische bzw. kerndeutsche Exzellenzstudenten mit Schulversagern derselben Herkunft zu integrieren, erhöbe sich in beiden Republiken ein homerisches Gelächter. Umgehend wäre der Leerlauf solcher Vorhaben begriffen und erledigt. Verkünden beide Ämter jedoch den nächsten Gipfel zur Integration kernösterreichischer bzw. kerndeutscher Exzellenzstudenten mit ausländischen Schulversagern würde jeder Spötter stante pede mit Rufmord überzogen. Weil niemand als ewig Verfemter im Internet landen will, folgt angstvolles Schweigen. Bringt man jedoch irgendwo zwischen Alaska und Neuseeland zwei 500er-Gruppen von Könnern aus beliebig vielen Kulturkreisen zusammen, die wenigstens eine Sprache, gewöhnlich also Englisch, gemeinsam beherrschen, stellen sich Integrationserfolge – bis hin zum gemeinsamen Führen von Parteien, Unternehmen, Zeitungen und Familien – selbst dann ein, wenn sie ohne professionelle Helfer erreicht werden müssen. Diese Sozialarbeiter würden sogar als peinlich und störend empfunden, wenn sie mit ihren Klienten intellektuell nicht mithalten können. Natürlich gibt es im Topsektor Konkurrenz zwischen Alten und Neuen. In die können sich auch ethnische Schärfen einlagern. Doch Wettbewerb gibt es selbstredend auch zwischen Einheimischen, seien sie nun Manager oder ihre Untergebenen.

Gehen wir nun konkret von Österreich und Deutschland aus ...

Selbstverständlich gelingt auch in Österreich oder Deutschland auf den hohen Bildungsstufen Integration zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen. Diese Fälle bleiben nur deshalb selten, weil die Bildungsniveaus zwischen beiden Gruppen weiter auseinanderdriften. Schon seit 1955 belasten deutsche Politiker – gegen den Willen von damals 55 Prozent der Einheimischen – ihre Nationalökonomie, um einzelnen Unternehmern die Überlebensfrist durch das Anwerben schlecht bezahlter Gastarbeiter zu verlängern. Österreich folgte mit einer ähnlichen Politik für allerdings etwas besser Qualifizierte im Jahr 1966. Während die Firmen verschwinden können, erweisen sich die Geholten als Bürger mit Sozialhilfeanspruch sowie dem unantastbaren Menschenrecht auf Familienleben. Scheitern sie auf dem Arbeitsmarkt, muss ihre Existenz aber von der Gesamtheit – und nicht von den dazumal Begünstigten –  bezahlt werden. Schon bei PISA 2006 lag aufgrund dieser Einwanderungspolitik der Migrantennachwuchs in Deutschland und Österreich tiefer unter den Leistungen der Alteingesessenen als in den übrigen untersuchten 56 Ländern. Kanada dagegen wurde beim selben Test zum ersten Land, in dem Migrantenkinder die einheimischen schulisch übertrafen. Dort entscheidet – nach ähnlichen Fehlern wie in Österreich und Deutschland – seit dem „Immigration Act“ von 1976 nicht der aktuelle Firmenbedarf über die Einwanderung, weil ein schnell Angelernter auch dann seine Ansprüche gegen die Allgemeinheit behält, wenn seine Arbeit mechanisiert worden ist. Der „Immigration and Refugee Protection Act“ (IRPA) von 2002 fordert von Neuankömmlingen grundsätzlich Überqualifizierung, weil man von oben nach unten – von Pilot auf Taxifahrer – lernen kann, aber nicht umgekehrt. Aktueller ökonomischer Bedarf wird keineswegs übergangen, aber nachrangig bedacht, weil die globale Position durch erst in der Zukunft entstehende Firmen verteidigt wird, deren Bedarf naturgemäß unbekannt ist. Deshalb wird nicht eine bestimmte Fertigkeit, sondern Innovationsfähigkeit gesucht, die dann natürlich auch die Integration erleichtert. 

Das heißt, dass europäische Staaten unter allen Umständen gut beraten sind, nach Möglichkeit nur noch hoch qualifizierte Personen einwandern zu lassen?

In allen Nationen ist Kompetenz knapp, während aufgrund immer stärkerer IT-Steuerung fast aller Prozesse die Nachfrage nach ihr wuchtig steigt. Zugleich haben alle Nationen mehr Unqualifizierte, als sie benötigen. Wer dennoch weitere von ihnen ins Land holt, gefährdet nach innen den Frieden und nach außen die Wettbewerbsfähigkeit. Solche Fehler der Einwanderungspolitik kann keine Integrationspolitik reparieren. Das wird mit Zahlen belegbar, als etwa Deutschland bei PISA 2012 erstmals detailliert erfasste, wie groß die integrationshindernden Leistungsunterschiede bereits waren. Man hat dafür die ausschließlich in der Bundesrepublik aufgezogenen Immigrantenkinder (sogenannte zweite Generation) gesondert vom altdeutschen Nachwuchs erfasst. Von 1.000 Migrantenkindern schnitten 75 in Mathematik sehr gut oder gut ab. Sie wurden aber von den Altdeutschen mit 221 auf 1.000 massiv übertroffen. Unten endeten 508 von 1.000 Migrantenkindern, aber „nur“ 299 von den Alteingesessenen mangelhaft, ungenügend oder gar unbenotbar schlecht in Mathematik. Wie sehr dadurch das Gesamtniveau heruntergezogen wird, zeigt der globale Schülervergleichstest in Mathematik (TIMSS). Deutsche Viertklässler, die 2007 den 12. und 2011 nur noch den 16. Platz erreichten, mussten sich 2015 mit Platz 24 begnügen. Der Anteil der Top-Performer, die später die Innovationen bringen, lag bei nur noch 5,3 Prozent (gegen 50,1 Prozent in Singapur oder 16,6 Prozent in England). Österreich endete schon 2011 auf einem alarmierenden 23. Platz und trat 2015 dann gar nicht erst an.

Kann man sagen, dass kein Befund aus der Integrationsforschung so niederschmetternd ist wie dieses Leistungsfiasko?

Ja. Schließlich gehört es zu Westeuropas Staatsräson, dass jeder prinzipiell alles lernen kann, wenn er von der Krippe bis zum Doktorhut kostenlos ein modernes Erziehungssystem durchlaufen kann. Allerdings lösen auch in Österreich und Deutschland die Erziehungswissenschaftler ihre Erfolgsversprechen nicht ein. Wie die Mediziner bisher kein Heilmittel für Krebs vorweisen können, so fehlt den Pädagogen immer noch ein Verfahren für die Überwindung der Mathematikschwäche. Wer das entdeckt, wird zum reichsten Menschen der Welt. Bis dahin werden immer mehr Länder nur Leute hineinlassen, die vor Überschreiten der Grenze ihre kognitiven Fähigkeiten nachgewiesen haben. Da niemand das Stigma des Versagers dauerhaft aushalten kann und deshalb jeder Mensch immer Sieger bleiben und nicht verrückt werden will, wird gerade am Leistungsende nach geborgter Größe gegriffen. Die mag sich bei Hiesigen in großdeutschen Bewegungen manifestieren und bei Muslimen die Todesbereitschaft für ein altmächtiges Kalifat beflügeln. Den Kollektivmitgliedern gerät aber gerade die so gewonnene Kraft zum Mittel im Kampf gegen andere Kollektive mit ihren Gegenidolen. Integration gelingt deshalb gerade dort am schlechtesten, wo aus intellektuellem Versagen geborene Identitäten aufeinanderstoßen. Bei Oben-Oben gibt es auch ohne Hilfe Integration zwischen Fremden, bei Oben-Unten bleibt sie aus, bei Unten-Unten ist Streit vorprogrammiert.

Streit und auch Tendenzen wie Radikalisierungen ...

Dabei werden nicht unterschiedliche Gottheiten zum Problem. Doch wenn die Scheiternden ihren Neidzorn auf die Erfolgreichen mit harten Sprüchen aus ihren heiligen Texten aufladen, verstärken sie die Angst auch vor solchen Anhängern ihres Glaubens, die niemanden bedrohen. Gerade Letztere sind rar, während die anderen reichlich zur Verfügung stehen. So schnellte in Deutschland die Zahl der Ausländer, die Sozialhilfe beziehen, von 130.000 im Jahr 2010 auf 979.000 im Jahr 2015 nach oben. Mittlerweile (2016) leben zwischen Rhein und Oder 42 Prozent bis 78 Prozent der Muslime von Hartz IV. Nur jeder Siebte der seit 2015 Kommenden ist auf Arbeitsmärkten vermittelbar. 53 Prozent der Deutschen und sogar 65 Prozent der Österreicher wollen mittlerweile überhaupt keine Muslime mehr über die Grenze lassen.

Sie haben vorhin Singapur erwähnt. Welche Strategien verfolgt Ostasien in diesem Zusammenhang?

Singapur hat global nicht nur die höchste Dichte an Mathe-Könnern, sondern hält mit 43 Prozent Fremdgeborenen in seiner – zu 14 Prozent muslimischen und zugleich terrorfreien – Bevölkerung auch einen Weltspitzenplatz bei der Migrantenquote. Offenheit gegenüber Menschen, die sich gute Zensuren erarbeitet haben, hält diese Stadtrepublik vorne, obwohl sie bei der Fruchtbarkeit mit 0,82 Kindern pro Frauenleben weltweit den letzten Platz einnimmt (Deutschland: 1,44; Österreich: 1,47).

Selten verkünden Unternehmer, dass sie auf Ungelernte umstellen, weil es hehrere Werte gebe als wirtschaftliches Überleben. Unter Politikern hingegen gibt es ein veritables Rennen, wer es mit höheren Werten als Erster in die Medien schafft. Ihre ostasiatischen Kollegen verstehen zumeist, dass gerade sie von erfolgreichen Firmen leben. Deshalb hat Singapurs chinesischer Erfolgsbegründer Lee Kuan Yew (1923–2015) das Klügermachen der Gesamtbevölkerung zum obersten Staatsziel erhoben. Offensichtlich kann das klappen, wenn man klein genug ist und früh damit anfängt.

Zusätzliche Lehren kommen aus ostasiatischen Ländern, die bei den Geburtenraten ebenfalls noch unter Westeuropa liegen und dennoch fast niemanden hereinlassen. So gewährte Japan 2015 nur 27 Menschen Asyl. Südkorea akzeptierte zwischen 1994 und März 2016 insgesamt 588 bzw. 27 Asylanträge pro Jahr. Unter 1,382 Milliarden Chinesen leben nur 583 anerkannte Flüchtlinge. Hier bestätigt sich einmal mehr, dass unauffällig bleibt, wer gar nichts tut. Wer hingegen hilft, tut immer zu wenig: Warum stoßt ihr plötzlich Millionen zurück, obwohl ihr gerade gezeigt habt, dass ihr durchaus Millionen unterbringen könnt?

Dann versucht Ostasien ganz konkret, aus den Fehlern bzw. Erfahrungen Europas zu lernen?

Ostasiaten beobachten vor allem das deutsche Experiment sehr genau. Das bundesweite Schulversager-Drama kann sie zur Nachahmung nicht verführen. Sie verstehen, dass jedes hereingelassene Kind mit schlechteren Durchschnittsnoten den Durchschnitt in der schulisch überlegenen neuen Heimat nur senken kann. Zwar hat auch Ostasien keine überzeugenden Lösungen für die Versorgung der Alten. Gleichwohl hatte das – innovativ langsam schwächer werdende Japan – mit dem höchsten Durchschnittsalter aller Industrieländer (46,9 Jahre) pro 100 Milliarden US-Dollar Bruttosozialprodukt im Jahr 2014 bald dreimal so viele internationale Patentanmeldungen wie die Bundesrepublik mit ihrem immer noch sehr respektablen vierten Rang (hinter Südkorea, Japan und China). Schon 2014 kamen rund 60 Prozent der Patente aus Ostasien, 22,9 Prozent aus Nordamerika und nur noch 12,9 Prozent aus Europa – nach noch 20,5 Prozent im Jahr 2004.

Man lernt von den Europäern, dass junge Schulversager aus der Fremde von den rentenklammen Alten noch mitversorgt werden müssen, ihre Probleme also vergrößern, statt zu lindern. Die 1,5 Billionen Euro allein aus Berlin für die womöglich lebenslange Versorgung der Millionen Zuwanderer und Familiennachzügler der Jahre 2015 bis 2020 registriert man ein Stück weit auch mit Schadenfreude. Dasselbe gilt für die 5,3 Billionen Dollar, die in Amerika über 50 Jahre hinweg für 3,7 Millionen illegale und überwiegend bildungsferne Migranten (Stand 2013) errechnet werden. Vergleichbare Mittel kann Ostasien nämlich für die Verbesserung seiner Konkurrenzfähigkeit einsetzen und nebenher die Entstehung friedloser Parallelgesellschaften vermeiden. Japans Roboterdichte liegt auch deshalb doppelt so hoch wie die deutsche, weil man kluge Alte mit smarten Maschinen partiell ersetzen kann, mit unqualifizierten Einwanderern aber niemals.

Trauen Sie sich, eine Prognose in diesem Bereich zu stellen? Wie werden sich Parallelgesellschaften künftig entwickeln, welche denkbaren Szenarien bzw. Dystopien gibt es?

Ostasiens Weisheit, lieber mit wenigen gut Qualifizierten durch das Geburtental zu gelangen, als den raren Leistern auch noch Versorgungslasten für bildungsferne Fremdrebellen aufzuhalsen, kommt für Westeuropa womöglich zu spät. Außer Großbritannien – und mit Einschränkungen auch Dänemark – ist kein EU-Land auf die Menschen vorbereitet, die sich bis 2050 hier ansiedeln wollen: Nach Erhebungen von 2009 streben momentan rund 625 Millionen Menschen nach Europa. Allein aus Schwarzafrikas Einwohner-Milliarde sind 380 Millionen dabei. Unter der optimistischen Annahme, dass die 2009er-Prozentsätze stabil bleiben, wollen 2050 sogar 1,2 Milliarden aus durchweg schwach qualifizierten Räumen hierher.

Welchen Ratschlag würden Sie angesichts dieser Aussicht europäischen Staaten geben?

Staaten ist schwer zu raten, Individuen aber können Druck machen, wenn sie sich in genügender Anzahl so bewegen, dass es wehtut. Das erreichen sie am ehesten dadurch, dass sie ihre Innovationsfähigkeit und Steuerkraft außer Landes bringen und der Konkurrenz zur Verfügung stellen. Opfert euch für Rentner, Fremde und den Euro, lautet die Dauerbotschaft an junge Leute in Deutschland und Österreich, die als Ledige – neben den Belgiern – schon jetzt die höchsten Steuern der Welt zahlen. Um sie werben Kompetenzfestungen – Ostasien, ehemalige britische Kronkolonien (Australien, Kanada, Neuseeland), Norwegen, Schweiz und nach dem Brexit auch England –, die eifersüchtig über ihre Grenzhoheit wachen. Sie geben Pässe nur an Asse, achten also auf hohe Lernfähigkeit ihrer Alt- und Neubürger. Das garantiert ein tragbares Verhältnis zwischen den Hilflosen und den Leistern, die für sie zahlen. Die Austrocknung von islamistischem Terror und seinen Quellen betreiben sie nicht allein um des inneren Friedens willen, sondern auch um Standortvorteile gegenüber der bereits angezählten Konkurrenz zu gewinnen. Wenn man in Montreal die Durchsetzung eines muslimischen Schweinefleischverbotes unterbindet, während Deutschland oder Österreich längst damit begonnen haben, ist das Signal an Europa deutlich: Wir brauchen euch und wenn ihr etwas könnt, gibt es hier ein Leben, das in eurer Heimat unmöglich wird.

Das heißt: Weil das Ziel dieser Länder darin besteht, global die Nase vorne zu behalten, darf Rassismus für sie kein Auswahlkriterium sein?

Wenn ein Hochqualifizierter an die Grenze käme und aufgrund von Pigmentierung oder Gesichtsschnitt von den Beamten abgelehnt werden würde, wäre das nicht nur moralisch verwerflich, sondern obendrein ein Schaden für das Land. Wenn ein Schulversager hereingelassen würde, weil bei ihm Augenstellung oder Hautfarbe gefallen, gilt dasselbe. Wer seine Schularbeiten macht, überwindet Grenzen. Kompetenzfestungen können ihren Bürgern 75 statt 50 Prozent des Verdiensts in der Tasche lassen. 300.000 Deutsche etwa, die es bis 2014 in die Schweiz schafften, halfen der kleinen Demokratie bei der Verteidigung ihres Platzes an der Weltspitze. Die Kantone liegen mittlerweile so deutlich vor dem nördlichen Nachbarn, dass ihre Hightech-Exporte pro Kopf 275 Prozent der deutschen Leistung erreichen. Bei der talentbasierten Konkurrenzfähigkeit insgesamt erreicht die Schweiz 2017 vor Singapur und Großbritannien die Weltspitze, während Deutschland und Österreich auf den Plätzen 17 und 18 zu kämpfen haben. 

Tendenz sinkend?

Wenn die beiden Länder im „global war for foreign talent“ nicht bald ganz weit nach vorne kommen, ist ein weiterer Abstieg unvermeidlich. Sie stehen 2017 bei der kognitiven Kompetenz nur noch auf den Plätzen 26 (Deutschland) und 31 (Österreich). Zwar erreichten sie bei der Attraktivität für fremde Könner bessere Plätze (Österreich: 19, Deutschland: 20), aber für ein spürbares Aufholen ist das viel zu wenig. Weil deshalb auf die Leister immer höhere Versorgungslasten für Hilflose entfallen, werden sie noch mehr entmutigt. Sie schauen sich deshalb nach Ländern um, in denen sie eher auf ein Leben ohne Terror und ein Alter ohne Not rechnen können. Die hier noch am ehesten etwas ändern könnten, haben es am wenigsten nötig, weil man in Dutzenden Ländern mit offenen Armen auf sie wartet.

Sind angesichts der aktuellen bzw. bevorstehenden demografischen Entwicklungen auch irgendwelche positiven Szenarien denkbar?

Der Umzug hiesiger Eliten in ferne Kompetenzfestungen bewirkt, dass bildungsferne Minderheiten – zuerst nur in bestimmten Vierteln und dann in ganzen Städten (etwa Birmingham, Malmö, Rotterdam etc.) – so zahlreich werden, dass sie Karrieren für ihre eigenen Könner bereitstellen können. Deren an sich vorhandene Eingliederungsfähigkeit kommt dann Parallelgesellschaften zugute. Dabei hilft ihnen ihre Jugendlichkeit: Während christliche Europäer 2010 ein Durchschnittsalter von 42 Jahren aufwiesen, lag es bei ihren muslimischen Mitbürgern bei nur 32 Jahren. In Deutschland war schon vor einem Jahrzehnt ein Viertel der Muslime (von den nahöstlichen sogar ein Drittel), aber nur ein Zehntel der Alteingesessen jünger als 15 Jahre. Und wer die Kinder hat, bekommt längerfristig auch das Land. Diese demografische Umformung mag zu durchaus produktiven Konkurrenzen führen. Was heute als „Eurabia“ gefürchtet oder gar verfemt wird, könnte durch unermüdliches Leisten und Innovieren den abfälligen Terminus in einen Ehrennamen verwandeln. Wer sich bis dahin in Kompetenzfestungen geflüchtet hat, mag dann in die ja niemals leichten Herzens aufgegebene Heimat zurückfinden. Dass Anzeichen für eine solche Wende bisher fehlen, beweist nicht, dass sie unmöglich ist.

Gunnar Heinsohn ist einer der bekanntesten deutschen Wirtschaftswissenschaftler und emeritierter Professor für Sozialpädagogik an der Universität Bremen. Derzeit lehrt er Militärdemografie am NATO Defense College in Rom und Eigentumsökonomie am Management-Zentrum St. Gallen. 2003 veröffentlichte er sein Buch „Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen“.

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