09 Schule und Migration

„Denn durch das Kopftuch werden Mädchen verschleiert und sexualisiert“

Interview mit Zana Ramadani

 

Für Zana Ramadani ist ein Kopftuchverbot an Schulen wichtig, da das Kopftuch Mädchen verschleiert und sexualisiert. Wenn Mädchen in einem sensiblen Alter ein Kopftuch anlegen und von ihnen ein gewisses Verhalten verlangt wird, wird ihnen das Recht auf Selbstbestimmung genommen und eine Fehlentwicklung gefördert.

Viele Lehrer, vor allem Lehrerinnen, erzählen von Problemen mit Schülern mit Migrationshintergrund, die die Autorität der Lehrpersonen nicht akzeptieren wollen, sie beispielsweise nicht ernst nehmen oder ihnen nicht die Hand geben. Wie geht man seitens der Schule mit einem solchen Verhalten am besten um?

Dieses Verhalten darf nicht toleriert werden, weder seitens der Schule noch seitens der Lehrer. Denn so ein Verhalten wird ja nicht nur gegenüber den Lehrerinnen und Mitschülerinnen an den Tag gelegt, sondern auch gegenüber Frauen außerhalb der Schule. Und in so einer Gesellschaft wollen wir nicht leben. Diesen Schülern müssen Grenzen aufgezeigt werden. Aber nicht nur ihnen, auch ihre Eltern, von denen sie dieses Verhalten abschauen, müssen zurechtgewiesen werden. Und noch etwas ist mir wichtig zu sagen: Die Lehrerinnen sollten 100-prozentige Rückendeckung von ihren Direktorinnen und Direktoren sowie der Politik bekommen, was leider wegen einer falsch verstandenen Toleranz nicht immer der Fall ist. Manche Lehrerinnen werden einfach im Stich gelassen.

Wie genau kann so eine, wie Sie sagen, „Zurechtweisung“ aussehen?

Damit meine ich zum Beispiel zuerst ausführliche Gespräche mit Schülern und Eltern darüber, wie unsere Gesellschaft funktioniert und was Gleichberechtigung bedeutet bzw. dass das Gegenteil nicht geduldet wird. Sollten diese Gespräche zu keinem Ergebnis führen, bin ich im Wiederholungsfall auch für Sanktionen wie Bußgeld für die Eltern oder Suspendierungen für die Schüler.

Welche Haltung erwarten Sie sich in diesem Zusammenhang von der Politik?

Die Politik ist hier sehr stark gefragt, weil sie verpflichtet ist, für die Einhaltung unserer Werte zu sorgen. Wenn offene Diskriminierung stattfindet und Eltern das Verhalten der Schüler auch noch gutheißen, dann ist die Politik dafür verantwortlich und muss handeln. Diskriminierung gehört sanktioniert. Und dafür müssen juristische Präzedenzfälle geschaffen werden – damit irgendwann alle verstehen, was in unserer Gesellschaft toleriert wird und was nicht.

Diskriminierung kann ja viele Facetten haben ...

Religiöses Mobbing etwa, Verbalattacken, Drohungen und Übergriffe auf Lehrer sowie Schüler sind keine Seltenheit mehr. In dieser Hinsicht gab es viele Versäumnisse. Und diese gehören aufgeholt. Den Anfang könnten wir machen, indem wir uns wieder Respekt verschaffen. Patriarchalische, archaische Gesellschaften funktionieren hauptsächlich über Dominanz und Hierarchie. Und über Respekt. Diesen Respekt müssen wir uns durch Dominanz zurückholen, mit Betteln und Bitten funktioniert das nicht. Das beeindruckt diese Menschen nicht. Wir haben durchaus klare Regeln in unserer Gesellschaft, aber diese Regeln müssen im Umgang miteinander und vor allem in der Schule auch eingehalten werden. Meine Generation ist noch mit diesen Regeln aufgewachsen und hat sie respektiert. Bei mir hat eine Stunde nachsitzen oder ein Eintrag in das Mitteilungsheft als Strafe noch gewirkt. Heute ist das anders. Die Schüler machen sich lustig über solche „Strafen“. Daher gehören die Lehrkräfte in ihrem Alltag stärker unterstützt und dürfen seitens der Politik, wie ich vorhin gesagt habe, nicht im Stich gelassen werden. Abgesehen davon brauchen wir meiner Meinung nach wieder kleinere Klassen, deutlich mehr Lehrer und auch Sozialarbeiter in den Schulen. Natürlich nicht in den Dorfschulen, in denen es kaum Probleme gibt, sondern in den Ballungsräumen mit einem hohen Migrantenanteil in den Klassen. In diesen Schulen können die Sozialarbeiter mit den Schülern zusätzliche Aufklärungsgespräche über Gleichberechtigung und unsere Werte führen und ihnen auch Information über Schutzmöglichkeiten vor Gewalt geben. Diese Aufgabe kann man nicht allein den Lehrern überlassen, sie sind damit überfordert. Und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Ohne Sozialarbeiter, die diese wichtigen Aufgaben übernehmen, werden die betroffenen Schüler lediglich betreut – und nicht angemessen unterrichtet und ausgebildet, wie sich das in der Schule gehört.

Was halten Sie von eigenen Schulklassen für Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache, damit sie gezielt gefördert werden und schneller Deutsch lernen, um in gewöhnliche Klassen integriert zu werden? Oder ist es besser, von Anfang an auf eine Durchmischung zu achten?

Ich bin da hin- und hergerissen und kann beiden Ideen etwas abgewinnen. Je nachdem, in welchen Regionen. In den Dorfschulen mit einem niedrigen Migrantenanteil in den Klassen kann eine Durchmischung funktionieren. Aber in den Großstädten mit Klassen, in denen bis zu 80 Prozent Migranten sitzen, wird das schwierig. Vor allem dann, wenn die Schüler mit Migrationshintergrund fast nur in ihrer Herkunftssprache miteinander sprechen. Bei diesen Schülern kann ich mir sehr wohl vorstellen, dass sie ein halbes Jahr eine Deutschklasse besuchen müssen, um grundsätzliche Sprachkenntnisse zu erwerben, bevor sie dann in eine Regelklasse kommen. Wobei ich schon betonen will, dass ich ganz grundsätzlich nicht für getrennte Klassen bin. Daher ist es umso wichtiger, dass in den Schulen, auch in den Pausen, ausschließlich Deutsch gesprochen wird. In Berlin beispielsweise gibt es eine Schule, in der sich die Eltern der Schüler vertraglich verpflichten, dass ihre Kinder nur Deutsch sprechen. Diese Schule hat eine lange Warteliste und wird vor allem von Familien mit Migrationshintergrund überrannt, während sie gleichzeitig von Islamverbänden bekämpft wird. Über solche Schulmodelle sollte man auch in Österreich nachdenken. Denn ohne gute Sprachkenntnisse kann aus niemandem etwas werden. 

Die Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre waren zuletzt das dominierende innenpolitische Thema. Welchen Einfluss können solche Bewegungen auf negative Entwicklungen in Schulen haben?

In den Ballungsräumen werden die Probleme größer, weil die Anzahl der Schüler mit Migrationshintergrund steigt und dadurch auch die Parallelgesellschaften größer werden. Die muslimischen Verbände fangen diese Menschen auf und geben ihnen ein Gefühl der Identität, der Sicherheit. Weil wir vorhin über Versäumnisse gesprochen haben: Diesen Verbänden haben wir viel zu lange das Feld überlassen und ihnen die ankommenden Menschen ausgeliefert. Es klingt zynisch, aber diese Verbände machen wirklich gute Jugendarbeit. Sie sind gut darin, Werte zu vermitteln. Aber leider die falschen Werte, wie etwa Geschlechtertrennung. Das ist etwas, das in unserer Gesellschaft ein bisschen verloren gegangen ist – das Miteinander, das starke soziale Gefüge. Das müssen wir wiederentdecken und einander auch vermitteln, damit die Verbände kein leichtes Spiel haben.

Was genau meinen Sie mit dem sozialen Gefüge, das wir wiederentdecken müssen?

Ich meine ein Gefühl von Identität und Zusammenhalt. Und Vertrauen. Diese Dinge sind uns etwas abhandengekommen, weswegen beispielsweise viele in den Städten in die Anonymität fliehen oder sich generell zurückziehen und negative Gedanken entwickeln. Gedanken wie Fremdenhass oder Angst vor anderen Menschen im Allgemeinen.

Auch antisemitische Vorfälle häufen sich in Schulen. Wie geht man mit dieser konkreten Entwicklung am besten um?

Das ist ja schon seit Jahren zu beobachten. Nur wurde dieses Phänomen immer kleingehalten. Für mich wird hier ganz klar eine Grenze überschritten, das ist religiöses Mobbing. Egal, ob Juden attackiert werden oder Ungläubige. Wobei sich das die Kinder ja nicht selbst ausdenken. Das schauen sie sich von ihren Eltern ab. Hier braucht es ebenfalls Sanktionen. Wenn Eltern ihren Kindern Antisemitismus beibringen, sind sie dafür zur Verantwortung zu ziehen und sollten bestraft werden. Auch hier sind Präzedenzfälle gefragt. Harte Geldstrafen zum Beispiel. Ohne eine harte Vorgehensweise gegen solche Menschen werden wir uns nie Respekt verschaffen und die Situation wird für alle immer schlimmer. Die Fronten verhärten sich. Die Migranten werden konservativer und fundamentalistischer und die Aufnahmegesellschaft fremdenfeindlicher und vorurteilsbehafteter. Das geht manchmal so weit, dass Eltern Angst haben, ihre Kinder allein zur Schule zu schicken, weil sie dort bedroht oder sogar umgebracht werden könnten. 

Mädchen mit Migrationshintergrund sind ja besonders gefährdet, Opfer von religiösem Mobbing in der Schule zu werden. Wie kann man sie besser fördern?

Ganz wichtig ist erst einmal ein Kopftuchverbot in Schulen. Damit fängt es an. Denn durch das Kopftuch werden Mädchen verschleiert und sexualisiert. Mehr noch, man nimmt ihnen ihre Kindheit. Das Kopftuch ist ja nicht nur ein Stofffetzen, daran hängt ein riesiger Rattenschwanz wie ehrbares Benehmen oder nicht am Schwimmunterricht, an Klassenfahrten oder am Sexualkundeunterricht teilnehmen zu dürfen. Was wir auch nicht übersehen dürfen: Wenn man einem Mädchen in einem sensiblen Alter ein Kopftuch anlegt und von ihm ein gewisses Verhalten verlangt, nimmt man ihm das Recht auf Selbstbestimmung und fördert eine Fehlentwicklung, auch körperlich – beispielsweise, was die Sexualität und das eigene Körperempfinden angeht. Wenn du ein Leben lang ein Kopftuch trägst, wird es zu einem Teil von dir. Als Erwachsene hast du kaum noch die Freiheit, es abzulegen. Daher kann hier von keiner Freiwilligkeit gesprochen werden. Hier ist ein Kopftuchverbot auch keine Bevormundung seitens des Staates, sondern vielmehr müssen der Staat und die Politik ihrer Fürsorgepflicht nachkommen und die Rechte eines Kindes auf natürliche, selbstbestimmte Entwicklung gegenüber den Eltern und der Gesellschaft durchsetzen. Unter muslimischen Mädchen gibt es darüber hinaus das Phänomen, dass Schülerinnen mit Kopftuch andere Schülerinnen ohne Kopftuch mobben und sie bedrängen, ebenfalls eines tragen. Auch dieser Gruppendruck gehört bekämpft.

Wie kann man diese Mädchen noch unterstützen? Abgesehen von einem Kopftuchverbot.

Es braucht spezielle Programme und speziellen Unterricht. Wichtig wäre zum Beispiel, ihnen die Frauenbewegung näherzubringen, damit sie sehen, wofür wir in der Vergangenheit gekämpft haben. Und auch die Gleichberechtigung sollte stärker in den Unterricht einfließen. Diesen Mädchen sollte beigebracht werden, was es bedeutet, dass wir so leben dürfen, wie wir leben. Darüber hinaus gehört ihnen gezeigt, welche Schutzmöglichkeiten sie in einem Land wie Österreich und Deutschland haben. Dass sie sich also von ihren Familien nicht alles gefallen lassen müssen. Beispielsweise, dass sie keine Angst zu haben brauchen, während eines Urlaubs in ihrem Herkunftsland zwangsverheiratet zu werden und nicht mehr zurückkehren zu dürfen. Dass es Behörden gibt, die das verhindern können, wenn man sich rechtzeitig an sie wendet. Dieses Gefühl von Freiheit muss ihnen unbedingt vermittelt werden. So können sie auch Vorurteile gegen Deutsche und Österreicher abbauen. Ein Unterrichtsfach mit diesen Inhalten wäre – zumindest in Klassen mit einem hohen Migrantenanteil – dringend erforderlich.

Sie selbst sind ja viel in Schulen unterwegs. Welche Methoden haben Sie entwickelt, um diese Mädchen zu „erreichen“? Um bei ihnen Eindruck zu hinterlassen?

Ich habe tatsächlich meine ganz eigenen Methoden. Wenn ich in Schulen mit Mädchen rede, stelle ich provokante Fragen wie: „Warum darf das dein Bruder machen und du nicht? Was ist der Unterschied zwischen euch?“ Mit diesen Fragen will ich sie dazu kriegen, dass sie Dinge hinterfragen. Genau darum geht es. Denn sie sind es nicht gewöhnt, etwas zu hinterfragen und eigene Gedanken zu entwickeln. Sie haben von klein auf gelernt, dass sie sich so zu verhalten haben, wie das in ihrer Familie und Kultur üblich ist.

Fällt Ihnen ein konkretes Beispiel für ein solches Gespräch ein?

Einmal hat mir ein junges Mädchen erzählt, dass sie ihr Kopftuch freiwillig trage. Sie war nämlich verlobt und ihr zukünftiger Ehemann sei sehr eifersüchtig, daher trage sie es ihm zuliebe. Dieses Argument hört man sehr oft. Aber etwas aus Liebe zu tun, ist doch keine Freiheit. Sie trägt das Kopftuch für jemand anderen, nicht für sich selbst. Das habe ich ihr auch gesagt. Es sind oft solche Gespräche, die die Mädchen zum Nachdenken und Hinterfragen anregen. Dabei spielt auch der Umstand eine Rolle, dass ich selbst einen Migrationshintergrund habe. Daher finde ich es im Übrigen auch sehr wichtig, dass es in Österreich die sogenannten Integrationsbotschafter gibt, die Schulbesuche machen. Denn dann sehen die Schüler, dass diese Menschen mit Migrationshintergrund ein Teil der Mehrheitsgesellschaft sind, und denken sich: Oh, das gibt es auch. Die Verbundenheit zu jemandem aus ihrem eigenen Kulturkreis ist ja dann ganz anders, viel stärker. Ich selbst beobachte das oft, wenn junge Leute zu mir kommen und ganz stolz sagen, dass sie auch aus Mazedonien kommen.

Eine letzte, grundsätzliche Frage: Welche Rolle spielt Bildung bei der Integration?

Bildung ist verdammt wichtig. Ohne Bildung haben wir nur ungebildete Sklaven mit Hilfsjobs. Das wollen wir nicht. Und die Migranten selbst wollen das auch nicht. Wir müssen daher Bildung ermöglichen, aber auch dazu sagen, dass wir Bildung verlangen. Wir müssen den Migranten deutlich machen, dass sie Leistung erbringen müssen, wenn sie ein Teil dieser Gesellschaft sein wollen. Gute Noten gibt es nicht geschenkt. Und Sprachkenntnisse können wir auch nicht in Tablettenform verabreichen. Wir sind nun einmal eine Leistungsgesellschaft. Wer keine Leistung erbringt, kann nichts erreichen. Aber wer bereit ist, Leistung zu erbringen, kann es auch zu etwas bringen. Das zeigt die Gesellschaft jeden Tag und das ist auch meine persönliche Erfahrung.

Zana Ramadani ist eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen im deutschsprachigen Raum. Die gebürtige Mazedonierin war Mitbegründerin von FEMEN Deutschland. Die gelernte Rechtsanwalts-und Notarfachangestellte studierte Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie. Sie ist Mitglied bei Terre des Femmes und Autorin von „Die verschleierte Gefahr: Die Macht der muslimischen Mütter und der Toleranzwahn der Deutschen“ und „Sexismus: Über Männer, Macht und #Frauen“.

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