04 Migration und Sicherheit

Perspektiven Integration

„Die Angst nimmt auch deshalb zu, weil nicht offen über das Thema gesprochen wird. Verdrängung erzeugt Misstrauen, und Misstrauen erzeugt Angst.“

Interview mit Jörg Baberowski

Jörg Baberowski hebt hervor, dass es keine Kriminalität von „Ausländern“ als solchen, sondern von bestimmten Gruppen gibt. Hierbei handelt es sich besonders um junge, alleinstehende Männer, die aus bildungsfernen, patriarchalisch und archaisch strukturierten Milieus kommen. In Österreich und Deutschland sind vor allem Menschen aufgenommen worden, die aus vormodernen patriarchalischen Ordnungen stammen und nun mit der modernen liberalen Ordnung stark überfordert sind.

Mit welchen Methoden wird Kriminalität unter Migranten eigentlich gemessen?

Die Kriminalitätsstatistik fragt nicht in jedem Bundesland und nicht für alle Fälle nach der Nationalität von Straftätern. In der Öffentlichkeit wird in den meisten Fällen die Herkunft von Tätern überhaupt nicht erwähnt. Sofern Täter ausländischer Herkunft einen österreichischen bzw. deutschen Pass besitzen, wie etwa die libanesischen Intensivtäter in Berlin, spielt die Nationalität in der Statistik keine Rolle. Hinzu kommt, dass es spezifische Straftaten gibt, die nur von Ausländern begangen werden können – wie etwa Taten, die das Ausländerrecht betreffen. Sie müssten aus der Statistik herausgerechnet werden. Andererseits ist unter manchen Ausländern die Zahl der Straftaten geringer als im Durchschnitt der Bevölkerung, unter manchen Ausländern aber sehr viel höher.

Welche „Risikofaktoren“ für Kriminalität im Allgemeinen und unter Ausländern im Speziellen gibt es?

Es gibt keine Kriminalität von „Ausländern“ als solchen, sondern von bestimmten Gruppen von Ausländern oder österreichischen/deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund. Nämlich von solchen, die aus bildungsfernen, patriarchalisch und archaisch strukturierten Milieus kommen. Denn es sind in der Regel nicht Japaner oder Niederländer, die in der Kriminalitätsstatistik auffallen. Gewaltkriminalität fällt überall dort aus dem Rahmen, wo Menschen, die Gewalt für eine natürliche Machtressource halten, auf schwache Sicherheitsstrukturen treffen. Eine Bewährungsstrafe gilt in solchen Kreisen als ein Symbol für die Wehrlosigkeit des Staates. Was innerhalb der eigenen Gruppe als Selbstverständlichkeit gilt, ist jenseits der Gruppe außer Kraft gesetzt. Es ist das Dilemma des liberalen Rechtsstaates, dass er auf seine Grundsätze verzichten müsste, um sich gegenüber solchen Straftätern Respekt zu verschaffen.

Einer Auswertung verschiedener Quellen zufolge ist in Österreich jeder dritte Verdächtige einer Straftat ein Ausländer. In Wien ist es sogar fast jeder zweite Verdächtige. Das wird in Deutschland ähnlich sein. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Es sind ja nicht Ausländer an sich, sondern bestimmte Ausländer. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Deutschland und Österreich sind Transitländer, die von gut organisierten Diebesbanden aus dem Ausland auch deshalb heimgesucht werden, weil ihnen diverse Fluchtwege offen stehen. Deutschland und Österreich haben im Vergleich zu anderen europäischen Ländern mehr Ausländer aufgenommen. Sie steuern ihre Einwanderung nicht und haben vor allem Menschen aufgenommen, die aus vormodernen patriarchalischen Ordnungen stammen, die mit der modernen liberalen Ordnung höflicher Nichtbeachtung vollkommen überfordert sind. Vor allem aber sind die Konsequenzen, die sich aus den Straftaten ergeben, für die Straftäter kalkulierbar. Deshalb gibt es für sie auch keinen Grund, die Finger davon zu lassen. In den USA müssen Einwanderer arbeiten, um ihren Unterhalt zu finanzieren, sie sind deshalb nicht nur ein Teil der Gesellschaft, sie lernen auch zu schätzen, was sie haben, weil sie selbst die Produzenten ihres Wohlstandes sind. Das alles haben wir hier nicht.

Welche Rolle spielt dabei die altersmäßige Zusammensetzung der Ausländer? Und Statusmerkmale wie Bildung, berufliche Stellung und familiäre Situation?

Die Straftäter sind vor allem junge, alleinstehende Männer mit niedrigem Bildungsgrad, die es im Leben zu nichts bringen werden, weil sie auf Kosten des Sozialstaates leben und keinen Anreiz haben, etwas anderes mit ihrem Leben anzufangen. Die autoritäre Kultur, aus der sie kommen und die in ihren Familien gelebt wird, verhindert, dass sie sich aus diesem Teufelskreis befreien können.

Ist Gewalt vor allem eine kulturelle oder eine soziale Frage?

Gewalt ist eine menschliche Möglichkeit, von der man Gebrauch machen kann, aber nicht machen muss. Wer arbeitslos oder arm ist, muss nicht gewalttätig werden, und wer reich ist, muss nicht gewaltlos sein. Wäre es so, dann wären alle armen Menschen gewalttätig und alle reichen friedlich. Gewalt ist kein Reflex der sozialen Lage. Sie ist schon eher eine Frage der Kultur. Auf Gewalt greift zurück, wer mit ihrem Einsatz etwas erreichen kann. In gewalttätigen Milieus muss man mit Gewalt umgehen können, um sich zu behaupten. Und wer lange mit der Gewalt gelebt hat, weiß, wie man sie anwendet und wie man ihr entgeht. So gesehen gibt es keine Kultur der Gewalt an sich, sondern eine Kultur, die aus der Gewöhnung an die Gewalt entsteht und die es Menschen leichter macht, gewalttätig zu sein.

Würde man die Statistiken von demografischen und sozioökonomischen Fragen bereinigen, wären dann Ausländer Ihrer Meinung nach immer noch krimineller als Inländer?

Wahrscheinlich nicht, aber man würde dann vielleicht übersehen, dass Menschen, die arm sind und mit Gewalt leben, in Deutschland und Österreich oftmals Migranten sind.

Welche Rolle spielt bei diesen Statistiken das sogenannte „Racial Profiling“? Denn je häufiger eine Gruppe in eine Kontrolle gerät, desto häufiger werden Straftaten aufgedeckt, oder?

Wenn man einen Rassisten oder einen Nationalsozialisten sucht, der Asylbewerberheime anzündet, dann wird die Polizei nach Personen Ausschau halten, die wie Mitteleuropäer aussehen. So geschieht es auch vor einem Fußballspiel, wenn Hooligans ausfindig gemacht werden müssen. Japaner oder Afrikaner würden nicht kontrolliert werden, Einheimische mit kurzen Haaren und Bomberjacken schon. So geschieht es auch, wenn sexuelle Übergriffe von Männergruppen auf Frauen abgewehrt werden müssen. Die Polizei kontrolliert, wer potenziell eine Gefahr sein könnte. Anders geht es nicht, und im Interesse der Sicherheit ist es auch kein Problem, wenn jene, die nicht straffällig sind, sich kontrollieren lassen.

Werden Straftaten von Ausländern häufiger angezeigt als von Inländern? Beispielsweise bei sexuellen Übergriffen?

Das mag sein. Aber es kommt doch auf die Qualität der Straftaten an. Es ist keineswegs so, dass die Bürger nicht wissen, dass es sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz oder in der Ehe gibt. Aber wie oft kommt es eigentlich in Büros vor, dass Männergruppen eine Frau erniedrigen und vergewaltigen? Die Herabsetzung und Vergewaltigung von Frauen im öffentlichen Raum ist ein neues Phänomen, das die Bürger verunsichert und bedrückt. Es ist ein Phänomen, das sichtbar ist. Und was sichtbar ist, wird auch zur Anzeige gebracht.

Wandern von einer bestimmten Nationalität vor allem junge Männer ein, wird die Kriminalitätsrate dieser Gruppe höher ausfallen. Stimmen Sie dem zu?

Junge Männer ohne Bildung, ohne Familie und ohne Frauen, mit denen sie eine Familie gründen könnten, haben keine Perspektive. Sie sind Verlierer und werden es bleiben. Sie aber sind in den letzten zwei Jahren in großer Zahl zu uns gekommen.

Gibt es spezielle Gewaltdelikte, die typisch für gewisse Nationalitäten sind?

Das kann man so nicht sagen. Der türkische Arzt ist nicht gewalttätiger als sein österreichischer Kollege. Es gibt keine nationale Kriminalität an sich. Aber es gibt Straftaten, die in manchen Unterschichtenkulturen häufiger vorkommen als in anderen. Und diese Unterschiede hängen mit den kulturellen Milieus zusammen, die solchen Menschen einen Halt geben.

Ist es dann überhaupt zulässig, die Kriminalstatistik nach Ethnien aufzubereiten?

Ich weiß nicht, ob es zulässig ist, aber es ist für die Bürger eines Landes wichtig zu wissen, was geschieht und warum es geschieht. Es ist ja nicht so, dass es überhaupt keine Rolle spielt, woher jemand kommt. Wenn wir nicht wissen, aus welchen Milieus welche Straftaten kommen, können wir ihnen auch nicht präventiv begegnen. Das ist auch im Interesse all der Einwanderer, die im Frieden mit ihrer Umwelt leben.

Wie redet man am besten über dieses Thema, ohne als Ausländerfeind zu gelten?

Indem man ausspricht, was der Fall ist. Wenn ein Deutscher einen Ausländer schlägt, dann sage ich auch, dass ein Deutscher keinen Ausländer schlagen soll. Und wenn ein Ausländer das Gastrecht missbraucht und eine Frau vergewaltigt, dann nenne ich die Tat beim Namen. Das Verschweigen führt in die Verschwörungstheorie. Was offen auf dem Tisch liegt, kann Gegenstand der Diskussion sein.

Es gibt Ausländerfeindlichkeit unter Österreichern. Gibt es das auch umgekehrt? Also eine Art Österreicherfeindlichkeit unter Ausländern?

Es gibt unter Ausländern wie unter Inländern Fremdenfeindlichkeit. Je größer die Sozialdisziplin, je abgeschlossener die eigene Gruppe und je kleiner die Welt, in der man lebt, umso feindseliger erscheint einem die Welt jenseits der eigenen Gruppe. Diese Fremdenfurcht ist im Unterschichtenmilieu bestimmter Einwanderergruppen stark verbreitet. Nur weil wir nicht verstehen, was sie sagen, heißt das noch nicht, dass nichts gesagt wird.

Steigt die Angst der Österreicher bzw. Deutschen vor Ausländerkriminalität?

Diese Angst nimmt zu, auch deshalb, weil nicht offen über das Thema gesprochen wird. Die Verdrängung des Themas erzeugt Misstrauen, und Misstrauen erzeugt Angst. Es regnet und alle sollen über den Sonnenschein sprechen. Das funktioniert nicht.

Was ist die beste Prävention gegen Kriminalität?

Ordnung. Die Ordnung ist der Garant unserer Freiheit. Wer sie zerstören, Misstrauen und Furcht erzeugen will, muss im Interesse der Freiheit daran gehindert werden. Denn ein Staat, der keinen Schutz bietet, kann Gehorsam nicht verlangen.

Mit welchen Mythen und Klischees werden Sie beim Thema Ausländerkriminalität am häufigsten konfrontiert?

Zwei Extreme: Ausländer sind krimineller als Inländer oder Ausländer sind die besseren Menschen. Helmut Schmidt hätte gesagt: dummes Zeug. 

Jörg Baberowski ist einer der bekanntesten deutschen Historiker und Gewaltforscher. Seit Oktober 2002 ist er Professor für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin. Für sein 2012 erschienenes Buch "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt" erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse. Zudem schrieb er das Buch "Räume der Gewalt".

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