01 Verschleierung im Islam

Perspektiven Integration

„Ich habe ein Problem mit der Verachtung, die man nicht verschleierten Frauen entgegenbringt.“

Interview mit Karin Kneissl 

Karin Kneissl sieht das Kopftuch als ein politisches Bekenntnis, wofür es keine religiöse Erklärung gibt. Sie spricht sich für ein Burkaverbot aus, da man mit einem solchen Verbot betroffenen Frauen den Rücken stärken würde.

Finden Sie, dass die öffentliche Debatte um die Vollverschleierung in Österreich einigermaßen seriös und differenziert geführt wird? Vor allem angesichts der Tatsache, dass nur wenige hundert Frauen davon betroffen sind.

Es ist schwierig, diese Diskussion seriös zu führen. Ich persönlich halte mich nicht im digitalen Dorfbrunnen auf, wie ich die sozialen Medien wie Facebook und Twitter manchmal etwas abfällig bezeichne. Dort ist es gar nicht möglich, eine Debatte seriös und differenziert zu führen. Und den organisierten Diskurs darüber habe ich nicht sehr aufmerksam verfolgt. Wie viele Frauen in Österreich davon betroffen sind, kann ich nicht sagen. Ich war in letzter Zeit viel in Ottakring und habe jedes Mal eine Handvoll vollverschleierte Frauen gesehen, in Liesing genauso. Ich halte es auch nicht für relevant, ob es 50 oder 500 Betroffene sind. Vielmehr geht es um die Frage, warum die Vollverschleierung überhaupt zunehmend in europäische Städte hineingetragen wird. Ich weiß nicht, ob diese Meldung stimmt, aber angeblich ist in einigen von der Terrormiliz IS kontrollierten Städten das Tragen einer Burka oder eines Niqab verboten. Aus Sicherheitsgründen, weil sich in der Vergangenheit Männer wie Frauen darunter versteckt und in die Luft gesprengt haben. Das Sicherheitsargument ist also nicht vom Tisch zu wischen.

Was spricht noch für ein mögliches Burkaverbot in Österreich?

Die Tradition unserer Geschichte. Dass man von Antlitz zu Antlitz kommunizieren kann.

Sie sind offenkundig für ein Burkaverbot?

Auf jeden Fall. Ich habe schon meine Probleme mit dem gewöhnlichen Kopftuch. Ich sehe oft vier- oder fünfjährige Mädchen mit Kopftuch und frage mich, wie freiwillig sie es tragen. Eine Mitarbeiterin vom AMS hat vor Kurzem bei einer Podiumsdiskussion erzählt, dass ihr oft Frauen weinend erklären, dass sie das Kopftuch gar nicht tragen wollen, aber beispielsweise von ihren Brüdern gezwungen werden.

Dann wäre ein Verbot für diese Frauen ein gutes Argument, um sich gegen ihre Brüder durchzusetzen?

Zum Beispiel, ja. Mit einem solchen Verbot würde man diesen Frauen Rückhalt geben. Übrigens, ich habe in meiner Koranlektüre keine Vorschrift für das Tragen eines Kopftuchs gefunden.

Was sagen Sie zu dem Argument, ein Verbot könnte dazu führen, dass diese Frauen komplett aus dem öffentlichen Raum verbannt werden?

Dieses Argument überzeugt mich nicht. Ich glaube, dass sich die Frauen, die in diesen patriarchalischen, mittelalterlichen Verhältnissen leben, ohnehin nur sehr begrenzt im öffentlichen Raum aufhalten und beispielsweise nicht allein aus dem Haus gehen dürfen. Mit einem Gesetz würde man ihnen den Rücken stärken.

Gab es im Umgang mit aufgeklärten Muslimen in der Vergangenheit Versäumnisse?

Man hat die säkular denkenden Menschen in der islamischen Welt sehr lange im Regen stehen lassen. In den vergangenen 25 Jahren hat man die Religion sogar als Mittel der Diplomatie herangezogen und den sogenannten interreligiösen Dialog intensiviert. Das ist meines Erachtens der falsche Weg. Man bedenke etwa, wie schnell sich die US-Regierung 2011 mit den Muslimbrüdern ins Bett gelegt hat. Auch in der Türkei hat man die säkular denkenden Demonstranten der Gezi-Bewegung im Mai 2013 im Stich gelassen. Die Gezi-Bewegung war für mich eine Vorschau auf das, was sich jetzt gerade in der Türkei abspielt – nämlich wie man mit der bürgerlichen Opposition umgeht. Damals erhob die bürgerliche Mitte Istanbuls ihre Stimme, die Folge war, dass Frauen als Huren beschimpft wurden, weil sie nicht verschleiert waren.

Sind Sie eigentlich auch für ein Verbot des gewöhnlichen Kopftuchs, wie es etwa von zehntausenden türkischen Frauen in Österreich getragen wird?

Ich denke in diesem Punkt französisch. Dort gibt es ein Verbot für alle ostentativen religiösen Symbole im öffentlichen Raum. 

Das inkludiert auch das Kopftuch?

Auf jeden Fall.

Weil die Argumente, die für ein Burkaverbot sprechen, grundsätzlich auch für ein Kopftuchverbot sprechen?

Genau, das ist auch meine Logik. Das Problem beginnt mit dem Kopftuch, weil es ein politisches Bekenntnis ist und wenig mit Spiritualität zu tun hat.

Ein solches Verbot würde viel mehr Frauen betreffen als ein Burkaverbot und sie möglicherweise in ein Dilemma stürzen, weil es zu Situationen kommen könnte, in denen sie sich für oder gegen ihre Familien entscheiden müssten. Oder gegen ihre Überzeugung. Oder gegen das Gesetz.

Ich glaube, dass man dadurch vor allem jenen Frauen, die das Kopftuch nicht freiwillig tragen, Rückendeckung verschaffen würde. Als in der Türkei das Kopftuch in den Universitäten verboten war, haben die Frauen, die es aus absoluter Gläubigkeit und Spiritualität trugen, Auswege gefunden – indem sie beispielsweise Perücken oder Hüte aufgesetzt haben.

Wo ein Wille, da ein Weg?

Würde ich sagen, ja. Wenn ich besorgt bin, dass ich ohne Kopftuch eine Sünde begehe, finde ich schon eine Lösung. Auf der anderen Seite kann man jenen Menschen den Wind aus den Segeln nehmen, die andere in die Pflicht nehmen und sie zum Tragen eines Kopftuchs zwingen wollen.

Einige Frauen würden wahrscheinlich dennoch auf der Strecke bleiben und für sich keine Lösung finden. Wären diese Frauen sozusagen der Kollateralschaden?

Dies erinnert an einen militärischen Ausdruck, aber für jeden Einzelfall wird sich eventuell keine Lösung finden.

Bleiben wir bei den türkischen Frauen, die das Kopftuch ein bisschen aus religiösen, ein bisschen aus kulturellen Gründen und ein bisschen deshalb tragen, um ihren Ehemännern einen Gefallen zu tun. Wäre ein Kopftuchverbot nicht eine unverhältnismäßig harte Maßnahme, um dem politischen Islam Einhalt zu gebieten?

Sie haben vorhin selbst die Logik eines Verschleierungsverbots angesprochen. Es geht hier um prinzipielle Fragen. Ich bin nicht die einzige, die das Kopftuch für ein politisches Symbol hält. Es gibt keine religiöse Erklärung dafür. Darauf kann sich – wie das auch viele aufgeklärte Theologen erläutern – niemand berufen.

Und wenn jemand ein Kopftuch tragen und behaupten würde, dass es kein politisches Symbol, sondern ein modisches Accessoire ist?

Dieses Argument wird oft gebracht. Ein modisches Accessoire kann man auf- und absetzen.

Ein religiöses Symbol nicht?

Lassen sie es mich so sagen: Ich habe ein Problem mit der Verachtung, die man nicht verschleierten Frauen entgegenbringt. Das gilt für muslimische Frauen ebenso wie für nicht muslimische. Eine muslimische Freundin von mir, die in Kairo lebt, wird ständig gefragt, ob sie Christin ist, weil sie ja kein Kopftuch trage. Der Druck, dem Frauen wie sie ausgesetzt sind, würde mit einem Verbot wegfallen. Das wäre mir ein solches Gesetz schon wert. Auch in Ägypten diskutieren einige offizielle Stimmen derzeit über die Frage, inwieweit man viele islamische Traditionen wie das Kopftuch hinterfragen muss.

Die Frage nach dem modischen Accessoire ist aber noch nicht beantwortet.

Ich weiß.

Wäre eine mögliche Antwort, dass man als Gesetzgeber mit dem Argument eines modischen Accessoires nicht für dumm verkauft werden will? Jeder erkennt den Unterschied zwischen Mode und Religion.

Ja.

Die Mehrheit der muslimischen Frauen sind nicht verschleiert. Dennoch wird eine Muslimin sehr stark mit dem Kopftuch assoziiert. Warum? 

Das ist etwas rezentes. Ich habe in den 70er-Jahren in Jordanien gelebt und keine meiner Freundinnen trug ein Kopftuch. Auch in Bagdad haben die Frauen damals ohne Kopftuch Basketball gespielt und haben im Badeanzug am Schwimmunterricht teilgenommen. Das ist noch nicht so lange her, davon gibt es Farbfotos. Dennoch ist es heute schwer, irakischen Jugendlichen klarzumachen, dass noch vor 30 Jahren die Universitäten in Bagdad voller Frauen in Miniröcken waren. Sie wollen das einfach nicht wahrhaben. Dabei hat sich die Verschleierung erst in den vergangenen Jahrzehnten aus radikalen Kreisen heraus gebildet – den Salafisten etwa oder der türkisch-nationalistischen AKP in der Türkei. In Ägypten hat es unter anderem damit zu tun, dass die karitativen Einrichtungen der islamistischen Organisationen Gegengeschäfte anbieten und beispielsweise kranke Kinder nur dann operieren, wenn sich ihre Mütter bereiterklären, fortan ein Kopftuch zu tragen. Wäre ich eine Mutter in Ägypten, würde ich dieses Geschäft auch eingehen. Von Fällen in arabischen Gesellschaften weiß ich, dass Frauen Geld angeboten wird, wenn sie sich verschleiern. Die Hisbollah zum Beispiel macht das im Südlibanon.

Wird diese Entwicklung anhalten oder gibt es so etwas wie eine Gegenbewegung?

Die gibt es. Beirut etwa war Ende der 80er-Jahre so etwas wie Little Teheran, Frauen liefen herum wie schwarze Raben. Heute es ist wieder ein buntes Volk mit unverschleierten Frauen in Röcken. Es hat sich also sehr viel verändert, nachdem sich mehrere Lebensstile aneinander gerieben haben. Freunde aus dem Iran sind sich sicher, dass an dem Tag, an dem das Kopftuchgebot fällt, 90 Prozent der iranischen Frauen keines mehr tragen werden. Auch dort wird sich noch vieles drehen. Denn ich beobachte eine gewisse Ernüchterung, was islamische Ideologie und vor allem die Lebensgebote der ganzen Sitten- und Tugendwächter angeht. Die Menschen rebellieren, auch in Syrien. Viele können das „Allahu ekber“ nicht mehr ertragen und sagen, sie werden wahnsinnig, wenn sie es irgendwo als Klingelton hören, denn zu oft wurden sie Zeugen von Gewalt im Namen Gottes.

Sollte Europa generell selbstbewusster gegenüber dem konservativen Islam auftreten?

Ja, auf jeden Fall.

Kuschen wir manchmal vor dem Islam?

Wir gehen zu oft in die Knie vor dem Islam. Das hat mich beispielsweise auch beim rituellen Schächten im Islam irritiert. Vor 18 Jahren habe ich mit einer libanesischen Tierärztin und einer Schweizer Tierschutzorganisation Betäubungspistolen für libanesische Schlachthöfe organisiert. Dort ist es nach Gesprächen mit Muftis und Imamen gelungen, die Tiere vor dem Schlachten zu betäuben. In Österreich ist uns das nicht gelungen, hier gehen wir wie gesagt in die Knie. Und diese Frage betrifft nicht nur den Islam.

Warum tun wir das?

Weil wir bloß keinen Ärger mit den Religiösen haben wollen.

Ist das eine feige Haltung?

Ja.

Was ist das Motiv der Männer, die Frauen verschleiern und in der Öffentlichkeit praktisch unsichtbar machen wollen? Religiöse Ideologie oder Machtfantasien?

Eher Letzteres. Sie missbrauchen die Religion für ihre Machtansprüche. Ich bin ein religiös sozialisierter Mensch und war lange auch gläubig, ehe ich vor fünf Jahren meinen Glauben verloren habe. Ich halte mich für relativ bibelfest und schätze die Lektüre des Propheten Jesaja. Er beschreibt in wunderbaren Passagen, dass Gott zum Menschen nicht durch den Sturm, sondern durch das Säuseln zwischen den Blättern spricht, leicht und leise. Wer behauptet, Gottes Gedanken zu erraten, geht fehl. Genau das ist es. Wenn jemand behauptet, er wüsste, was Gott denkt, dann ist das bar jeder Logik und der Ursprung aller Häresie.  

Bietet der Islam im Vergleich zum Christentum grundsätzlich mehr Raum für Unterdrückung, Gewalt und Unfreiheit?

Zu den großen Unterschieden zwischen den beiden Religionen zählt, dass es sehr leicht ist, zum Islam überzutreten. Im Islam kann ich mir meine religiöse Überzeugung leichter selbst stricken als im Katholizismus. Ich habe viele Konvertiten erlebt, die mit ihren extremen Ansichten den Muslimen auf die Nerven gegangen sind.

Dann ist der Islam die schlichtere Religion?

Das Christentum ist sicher komplizierter. Hier muss ich eine Serie von Prüfungen absolvieren, um überhaupt hineinzukommen. Wenn man im Christentum sozialisiert ist, sollte man theoretisch ja auch gewisse Stufen durchmachen wie Erstkommunion, Konfirmation und Firmung. Man hat also eine gewisse Liturgie zu befolgen. Da ist der Islam viel freier. Der Imam im sunnitischen Islam etwa ist mit einem Priester nicht vergleichbar. Der Priester leitet den Gottesdienst, der Imam ist nur ein Gemeindevorsteher. Auch die Ausbildung ist eine andere, Imam kann jeder werden – wie in den evangelikalen Freikirchen, die für mich auch ein rotes Tuch sind. Ich kenne sie unter anderem aus den USA, auch sie fangen arme Seelen auf, die Probleme mit sich selbst haben.  

Ist es demnach für einen Moslem leichter, zu einem Radikalen zu werden, als für einen Christ?

Ja, weil ich im Islam viel mehr Freiheiten habe, um eigene Überzeugungen zu erfinden und zu vertreten.

Karin Kneissl ist eine der anerkanntesten Nahostexpertinnen, spricht fließend Arabisch und ist auch viel im arabischen Raum tätig. Außerdem ist sie Vizepräsidentin der Gesellschaft für politisch-strategische Studien STRATEG.

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