02 Islam europäischer Prägung

Perspektiven Integration

„In erster Linie müssten wir uns wohl darauf einigen, dass Religion Privatsache ist.“

Interview mit Karin Kneissl

Karin Kneissl betont, dass es zwischen muslimischen Gemeinschaften in Europa noch enorme Unterschiede gibt. Sie warnt davor, dass die kritische Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Muslimen sich in nächster Zeit verschärfen wird.

Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz unterstützt die Forderung nach einem „Islam europäischer Prägung“. Begrüßen Sie diese Forderung?

Diese Forderung ist etwas diffus, weil es zwischen den muslimischen Gemeinschaften in Ländern wie beispielsweise Frankreich, Schweden und Deutschland enorme Unterschiede gibt. Während der Islam in Frankreich sehr nordwestafrikanisch geprägt ist, ist er in Deutschland sunnitisch-türkisch bestimmt, da liegen Welten dazwischen. Die Debatte um einen Islam europäischer Prägung ist zudem nicht neu, sie kam schon in den 80er- und 90er-Jahren in Ländern wie Frankreich und Spanien auf. Mit dem Ergebnis, dass die Bemühungen darum von einigen Experten als gescheitert bezeichnet wurden.

Wie würden Sie „Islam europäischer Prägung“ eigentlich definieren?

Schwierige Frage. In erster Linie müssten wir uns wohl darauf einigen, dass die Religion Privatsache ist. Damit wäre einiges erreicht. Viele vor allem politisch-islamische Vereine suggerieren, dass man sich als gläubiger Moslem nur in einer Gesellschaft islamischer Ordnung entfalten kann. Das impliziert auch verfassungsrechtliche Grundlagen. Der Grundkonsens muss also lauten, dass Religion Privatsache ist – womit sich aber viele Muslime, etwa aus den Golfstaaten, nicht identifizieren können.

Ist der Islam für Sie eine europäische Religion?

Europa ist auf vielen Hügeln entstanden und ist mit seinen verschiedenen kulturellen Schichten bis heute in keiner Weise gefestigt. Eine Besonderheit im Islam ist der Missionierungsgedanke. Zwar hat auch das Christentum mit Feuer und Schwert erobert, aber ab dem 17. Jahrhundert ist es doch anders gewachsen. Das Judentum will gar nicht missionieren. Zum Juden wird man nicht, sondern wird als solcher geboren. Die Okkupationen des Osmanischen Reichs – etwa in Ungarn oder auf dem Balkan – sitzen bis heute sehr tief im kollektiven Bewusstsein. Der Islam gilt als eine Eroberungsreligion, das ist in machen Gesellschaften stärker und in manchen weniger stark ausgeprägt.

Das bedeutet was genau? Ist der Islam nun eine europäische Religion?

Nein, eigentlich nicht. Der Islam hat die europäische Gesellschaft und Kultur in bedeutenden Belangen wie Literatur, Musik, Theater, Bildende Kunst etc. nicht durch und durch geprägt wie das Christentum und Judentum. Spuren hat der Islam nur im andalusischen Spanien und in Teilen Südosteuropas hinterlassen.

Wenn über Integration gesprochen wird, wird meistens auch über den Islam gesprochen, über andere Religionen hingegen kaum. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das hat viel mit dem Anspruch vieler Muslime auf eine gewisse Überlegenheit zu tun – gepaart mit dem Komplex „Wir sind Opfer“. Diese Opfermentalität ist hauptsächlich auf den Kolonialismus zurückzuführen. Wenn ich als Moslem den Anspruch erhebe, die letzte Offenbarung zu haben und daher höherwertiger zu sein als Andersgläubige, dann kann das schon zu Problemen bei der Mehrheitsgesellschaft führen, die damit verständlicherweise nicht einverstanden ist.

Sehen Sie Widersprüche bzw. Reibungspunkte zwischen dem Islam und europäischen Traditionen und Werten?

Reibungspunkte gibt es genug. Die Epoche der Kreuzzüge, die in diesem Zusammenhang immer wieder gern bemüht wird, ist ein wesentlicher Reibungspunkt. Also das wechselseitige Bekehren mit dem Schwert. Hinzu kommt die strikte Trennung von Politik und Religion, wie sie die Moderne in weiten Teilen Europas einläutete. Mohammed hingegen war ein Prophet UND politischer Führer. In Europa ist zudem das Individuum Dreh- und Angelpunkt, während bei Muslimen nicht das Individuum, sondern die Gemeinschaft im Mittelpunkt steht. Über allem ruht Allahs Wille. Daher krachen auch das protestantische Christentum, in dem das Individuum stärker dominiert als im Katholizismus, und der Islam aneinander. Viele Muslime sind mit dem Bewusstsein groß geworden, als Individuum nichts bewerkstelligen zu können. Nur im Verbund, in der Gemeinschaft der Gläubigen, in der alles durch das Schicksal vorgegeben ist, fühlen sie sich wohl.

Und diese Geisteshaltung ist mit dem einem europäischen „Way of Life“ einfach nicht vereinbar...

Nein, ist es nicht. Heute sogar noch weniger als zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als wir noch stärker auf uns selbst gestellt waren und viel weniger Hilfe durch den Staat wie etwa Sozialleistungen bekamen. Die europäische Gesellschaft ist geradezu atomisiert, jeder schaut auf sich selbst. Das ist auch der Grund dafür, warum viele Individualisten, die oft Atheisten sind, aus Ländern wie etwa dem Iran und der Türkei nach Europa gekommen sind. Sie wollten als Individuen leben und nicht ihre Stammesgeschichte mitschleppen und über ihre Familien definiert werden, wie das in Städten wie Teheran und Istanbul teilweise immer noch der Fall ist. Interessant zu beobachten: Die Kinder dieser Einwanderer sind wiederum oft der Meinung, dass ihre Eltern zu sehr assimiliert sind, und suchen in einer Art Gegenbewegung wieder den Gemeinschaftsgedanken und Gleichgesinnte.

Kommen wir zum Zusammenleben zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Österreich. Wie gut funktioniert das Ihrer Ansicht nach?

Immer schlechter. Das Zusammenleben hat schon viel besser funktioniert. Das hat sich vor allem mit den veränderten demografischen Bedingungen geändert – als sich also bestimmte Viertel abgespalten haben. In manchen muslimischen Gegenden wie etwa Telfs in Tirol oder Favoriten in Wien ist es möglich, in islamische Kindergärten zu gehen, in islamischen Supermärkten einzukaufen und muslimische Ärzte aufzusuchen. Auch Freunde und Ehepartner stammen zumeist aus diesem Mikrokosmos. Vor einigen Jahren war das noch anders. Als ich studiert habe, gab es in meinem Freundeskreis Muslime und Nicht-Muslime – und das spielte keine Rolle, niemand hat danach gefragt. Heute sind muslimische Gruppen und Freundeskreise homogener und auch politischer geworden.

Was würde es Ihrer Meinung nach brauchen, um das Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen in Österreich weiter zu verbessern?

Das Reduzieren auf den Migrationshintergrund muss aufhören. Vor 20 Jahren war das kein Thema, man war Staatsbürger des jeweiligen Landes und das hat genügt. Heute hingegen ist es zu einem ganzen Geschäftszweig geworden, Menschen auf ihren Migrationshintergrund zu reduzieren, was ich für problematisch halte.

Sie meinen, ein bisschen wie in den USA, wo Zuwanderer stolz sind, Amerikaner zu sein, und ihre Herkunft keine Rolle mehr spielt?

Ja, durchaus. In den USA funktioniert das viel besser. Ich bin jetzt kein USA-Fan, die Amerikaner haben auch ihre Probleme. Als junger schwarzer Mann hat man es in den USA sicher nicht leicht. Aber egal, ob man aus Little Italy oder China Town kommt, eine Zeit lang konnte man den amerikanischen Traum verwirklichen. Das habe ich beispielsweise bei einer iranischen Familie gesehen, die teilweise nach Deutschland und teilweise in die USA ausgewandert ist. Letztere kamen im Gegensatz zu jenen, die nach Deutschland gingen, 100-prozentig in den USA an, wurden erfolgreich, sehr reich und eigneten sich den amerikanischen Lebensstil an. Die Amerikaner lassen eine solche Entwicklung eher zu, in Europa hingegen herrscht noch eine gewisse elitäre, abgehobene Haltung vor.

Was an Österreich bzw. Europa ist aus Ihrer Sicht für hier lebende Muslime besonders schwer zu akzeptieren?

Wahrscheinlich der Umgang mit unseren Kindern und Alten. Es ist schlimm, wie wir alles auslagern und unsere Verantwortung negieren. Wir sind in den Generationen gespalten, die Kinderliebe gibt es nicht einmal mehr in Italien. Als ich im Orient gelebt habe, war ich einmal bei einem Geburtstagsfest einer 18-jährigen Freundin. Ich selbst war gerade 19. Dort haben Kinder mit ihren Großmüttern getanzt. Das wäre hier undenkbar. Für viele Muslime ist es unverständlich, wenn sie sehen, dass wir unsere Eltern und Großeltern in Pflegeheimen unterbringen. Ein Beispiel: Eine Freundin aus dem Iran, die den größeren Teil ihres Lebens nicht im Iran verbracht hat und viel in der Welt unterwegs war, hat ihren Vater einfach bei sich aufgenommen, als er an Alzheimer erkrankte. Ihn in einem Heim einzuquartieren, kam nie in Frage. Ihr Mann, ein libanesischer Christ, sah das im Übrigen genauso. Im Orient hat das Zusammenleben der Generationen einen ganz anderen Stellenwert als in Europa.

Kennen Sie selbst oder von Bekannten Situationen, in denen muslimische Gesetze bzw. Regeln im Widerspruch zu österreichischen Gesetzen stehen?

In meinem Bekanntenkreis nicht wirklich, keiner meiner Freunde würde die Religion über die österreichischen Gesetze stellen. Aber ich kriege schon mit, wie beispielsweise das rituelle Schächten trotz Verbots weiterhin durchgeführt wird. Oder wie Eltern ihre Töchter nicht in den Schwimmunterricht gehen lassen oder Männer Frauen nicht die Hand geben. Dabei sind das größtenteils selbst gestrickte Dinge, die im Islam nicht vorgesehen sind.

Praktizieren eigentlich Muslime in Österreich bzw. Europa ihren Glauben anders als in ihren Herkunftsländern?

Es gibt diesen alten Spruch: „Je weiter weg von Rom, umso katholischer.“ Das trifft auf viele muslimische Einwanderer zu. Auch auf Österreicher, die ins Ausland gehen.

Dahinter steckt die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft?

Ja, das und das Bedürfnis, eigene angebliche Besonderheiten zu bewahren. Nicht umsonst sagt die Migrationsforschung, dass man in einem fremden Land zuerst die Sprache aufgibt, dann das Kochen und erst ganz zum Schluss die Religion.

Werden wir etwas allgemeiner: Welche grundlegenden Werte sind Ihrer Meinung nach in Österreich und Europa wichtig für das respektvolle Zusammenleben?

Leben und leben lassen. Das sollte die Grundhaltung sein, ist uns aber in den vergangenen 20 Jahren durch eine Überregulierung etwas abhanden gekommen. Dabei macht genau das Europa aus. Ich selbst bin sehr dankbar für das Kulturerbe Europas und nehme es sehr gern an. Wir können ein selbstbestimmtes Leben führen, in relativ kurzer Zeit andere Länder bereisen und uns an ihnen reiben. Das bereichert uns und bringt uns voran.

Wie, denken Sie, wird die aktuell sehr kritische Haltung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Muslimen weitergehen?

Die Situation wird sich noch verschärfen. Um ehrlich zu sein, bin ich in großer Sorge um unsere Gesellschaft – noch mehr als um die im Nahen Osten. In Ländern wie etwa Syrien und Algerien gibt es eine gewisse Erschöpfung und Ernüchterung, was den radikalen Islam angeht. Die Menschen können nach all den Jahren „Allahu Akbar“-Rufe oder religiöse Handyklingeltöne nicht mehr hören. Hier ist diese Ernüchterung noch nicht angekommen. Vieles steht auf der Kippe. Noch ein weiterer Terroranschlag in Frankreich und man kann den Zusammenhalt in der Gesellschaft nicht mehr garantieren.

Mit der Folge, dass rechtspopulistische Parteien stärker werden und an die Macht kommen?

Ja, wobei ich den Begriff Rechtspopulismus für überstrapaziert halte. Vielmehr haben einige rechte Parteien vieles eingefordert, das andere Parteien nun umsetzen – wie das ja in Österreich schön zu beobachten ist. Ich empfinde den aktuellen Rechtsruck als zeitgeistiges Phänomen. In meiner Studienzeit sind wir für Bäume auf die Straße gegangen und wollten die Umwelt retten. Das waren Luxusprobleme, denn Sorgen wie Arbeitslosigkeit hatten wir damals nicht. Wir wussten, wir werden nach dem Studium einen guten Arbeitsplatz haben. Heute ist das anders, das vorherrschende Thema ist Sicherheit. Es klingt dramatisch, aber ich rechne damit, dass als Reaktion auf einen sich immer selbstbewusster präsentierenden radikalen Islam auch das Christentum immer militanter auftreten wird.

Karin Kneissl ist eine der anerkanntesten Nahostexpertinnen, spricht fließend Arabisch und ist auch viel im arabischen Raum tätig. Außerdem ist sie Vizepräsidentin der Gesellschaft für politisch-strategische Studien STRATEG.

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