08 Gemeinschaft

„Je mehr ,multi‘, desto schwieriger der Zusammenhalt. Aber jede Gesellschaft war, ist und wird ,multi‘ sein. Mal mehr, mal weniger.“

Interview mit Michael Wolffsohn

Michael Wolffsohn betont, dass der Wandel die Kons­tante einer jeden Gesellschaft ist. Jedoch ist ein Regelwerk für jedes gesellschaftliche Leben unverzichtbar.  Er weist darauf hin, dass es in jeder Gesellschaft nicht „die“ Kultur gibt, sondern mehrere Teil- bzw. Subkulturen.

Wie würden Sie Zusammenhalt in einer Gesellschaft definieren?

Wer glaubt, es gäbe in einer Gesellschaft einen normativen Zusammenhalt, irrt – oder glaubt an die Möglichkeit dauerhafter Manipulation. Gesellschaft ist an sich vielschichtig und weil vielschichtig, kann es keinen eindeutigen normativen Zusammenhalt geben. Sehr wohl kann und muss es aber einen funktionalen Zusammenhalt geben. Der basiert auf Regeln. Wie im Straßenverkehr.

Dann lassen Sie es mich anders formulieren: Was unterscheidet eine Gesellschaft von einer solidarischen Gesellschaft?

Die Solidarität einer solidarischen Gesellschaft hält selten lang oder gar dauerhaft. Wandel ist die Konstante einer jeden Gesellschaft. Wäre es anders, sprächen wir nicht über Menschen, sondern über Maschinen. Ein Regelwerk ist jedoch unverzichtbar. Wie im Straßenverkehr so im gesellschaftlichen Leben. Sonst wären Chaos und Faustrecht die Regel.

Von welchen Faktoren hängt Zusammenhalt in einer Gesellschaft ab? Sind plurale Gesellschaften, die besonders multikulturell geprägt sind, stärker gefährdet, ihren Zusammenhalt zu verlieren? Welche Rolle spielt also Kultur für den Zusammenhalt?

Je mehr „multi“, desto schwieriger der Zusammenhalt. Aber jede Gesellschaft war, ist und wird „multi“ sein. Mal mehr, mal weniger. In jeder Gesellschaft gibt es nicht nur eine, also „die“ Kultur, sondern mehrere Teil- bzw. Subkulturen. Und leider ist auch das Menschlichkeits-Eis der Kultur so dünn, dass man oft einbricht. Nicht nur das Dritte Reich liefert Anschauungsunterricht. Deutschland war auch damals keine Dschungel-Kultur, aber eine Dschungel-Zivilisation. Viele sogenannte Dichter und Denker, nicht zuletzt hochgebildete Professoren, waren Hitlers willige Helfer. Denn deutsche Professoren waren die ersten „Märzgefallenen“, also Umfaller, Profiteure und Mitmacher.

Welche Ereignisse und Entwicklungen sind typische Beispiele dafür, den Zusammenhalt zu erschüttern? Bzw. was sind erste Anzeichen dafür, dass in einer Gesellschaft der Zusammenhalt verloren geht?

Kein allgemeiner Konsens, immer mehr Gewalt, teils Terror, und Gegengewalt sowie Gegenterror als Mittel der Politik. Auch verbale Gewalt.

Wie kann man den Zusammenhalt seitens der Politik und als einzelner Bürger fördern?

Die Politik bedeutet der Staat. Der muss für die Rahmenbedingungen sorgen, konkret für die Sicherheit seiner Bürger nach innen und außen. Der Staat sichert also – wie das zeitlos in der US-Unabhängigkeitserklärung formuliert wurde – „Life, Liberty and the Pursuit of Happiness.“ Konkret: Keiner darf das Leben des anderen gefährden. Jedes Menschenleben ist sozusagen heilig. Nur wenn das Leben gesichert ist, kann man Freiheit gewähren und genießen. Ausgehend von diesen Vorgaben gelten individuelle und kollektive Selbstbestimmung.

Welche Folgen haben die Herausforderungen der Flüchtlingsintegration auf den Zusammenhalt? Fallen Ihnen dazu Beispiele aus der Vergangenheit oder aus anderen Regionen ein?

Aus dem bereits Gesagten ergibt sich: Polarisierung, Gewalt und Gegengewalt – physisch und auch verbal – werden zunehmen. Für Beispiele verweise ich auf meine Bücher „Zum Weltfrieden“ und „Zivilcourage: Wie der Staat seine Bürger im Stich lässt“.

Welche Herausforderungen bringt in diesem Zusammenhang die Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern mit sich? Welche Rolle nimmt die Religion, insbesondere der Islam, dabei ein? Und nicht zuletzt: Welche Rolle spielt die Geschichte?

Wenn Integration gelingt, gibt es keine Probleme. „Wenn das Wörtchen ‚wenn‘ nicht wäre …“ Nicht nur der Islam hat, seine Lehre wortwörtlich nehmend, ein Gewaltproblem. Doch Judentum und Christentum haben es überwunden. Geschichte? Die meisten Menschen kennen Geschichte nicht, sie sind aber ihr Objekt, denn sie agieren im Rahmen geschichtlich gewordener Rahmenbedingungen. Diese akzeptieren oder bekämpfen sie.

Zur Rolle von Religionen: Fördern oder behindern sie den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt in einer pluralen Gesellschaft?

Das kommt – bei allen Religionen – darauf an, wie man sie versteht oder verstehen will. Der Anspruch der Religionen ist friedlich, ihre historische Wirklichkeit eben nicht. Ausnahme: das Judentum in seinen staatenlosen Epochen.

Braucht es für die Integration überhaupt Zusammenhalt in einer Gesellschaft? Kann man über Integration reden, ohne auch den Zusammenhalt in einer Gesellschaft zu thematisieren?

Noch einmal mit anderen Worten: Wir müssen uns realistischerweise von der Illusion des gesellschaftlichen Schmelztiegels lösen und die plurale Gesellschaft, also Vielschichtigkeit, als Faktum anerkennen. Wenn und solange das funktionale und rechtliche Regelwerk eingehalten wird, ist das kreativ und ungefährlich.

Gibt es Werte, die dabei helfen, den Zusammenhalt zu fördern?

Life, Liberty and the Pursuit of Happiness. Siehe oben. Ich nenne das aber lieber Vorgaben bzw. Rahmenbedingungen, weil es keinen Wertekonsens geben kann.

Ist die Demokratie derzeit grundsätzlich in Gefahr?

Demokratie ist immer in Gefahr. Besonders durch Demagogie. Das kann man schon an der antiken Athenischen Demokratie erkennen.

Zum Zusammenhalt in Österreich: Was bereitet Ihnen persönlich Sorgen?

Respekt und Höflichkeit verbieten es mir als Nicht-Österreicher, diese Frage zu beantworten.

Und in Deutschland: Was bereitet Ihnen hier Sorgen?

Langfristig die Zunahme des islamischen Terrors und die terroristische Reaktion der Neuen Rechten, also eine Variante des Bürgerkriegs.                                                      

Michael Wolffsohn ist einer der führenden Experten für die Analyse der internationalen Politik. Als Professor für Neuere Geschichte lehrte er an der Universität der Bundeswehr München. Zu seinen Publikationen zählen unter anderem „Zum Weltfrieden: Ein politischer Entwurf“ (3. Auflage 2018), in dem er die Situation in den aktuellen oder potenziellen Krisengebieten weltweit analysiert, und „Deutschjüdische Glückskinder“ (3. Auflage 2017).

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