01 Verschleierung im Islam
Perspektiven Integration
„Muslimische Frauen haben sich in Europa anzupassen.“
Interview mit Saïda Keller-Messahli
Saida Keller-Messhali sieht die Burka als Symbol für die Unterdrückung der Frau bzw. als die Uniform der Taliban. Sie spricht sich daher für ein Burkaverbot aus, auch um ein klares politisches Zeichen zu setzen.
Beginnen wir mit der Gretchenfrage. Sind Sie für oder gegen ein Burkaverbot in Österreich?
Ich bin für ein Verbot. Im Kanton Tessin in der Schweiz gibt es ein solches Verbot bereits und es wurde dort sehr gut aufgenommen. Auch von den Touristinnen aus Saudi-Arabien. Sie sind froh darüber, dass es dieses Verbot gibt, weil sie weniger auffallen und weniger Blicke auf sich ziehen, wenn sie keine Burka oder Niqab tragen. Die Frauen selbst wollen sie ja nicht tragen, werden aber in Saudi-Arabien dazu gezwungen.
Was ist mit jenen Touristinnen und Einheimischen, die eine Burka sehr wohl tragen wollen?
In der Schweiz kenne ich nur eine einzige Frau, und die ist Konvertitin, wuchs in einer katholischen Familie auf, bis sie zu ihrer „Wahrheit“ fand, nämlich dem Salafismus.
In Österreich gibt es mehr als eine, nämlich ein paar hundert. Haben Sie schon einmal mit einer gesprochen?
Nein.
Glauben Sie, dass diese Frauen die Burka auch nicht aus Überzeugung tragen, sondern von ihren Männern dazu gezwungen werden?
Ich glaube, dass Frauen in Europa das nicht freiwillig machen, sondern dass dahinter salafistische Gruppierungen stecken, die sie benutzen, um uns die Uniform des Salafismus schmackhaft zu machen. Das hat man beispielsweise in Basel gesehen, als Frauen vom Elsass in die Schweiz gekommen sind, um Werbung für das Tragen eines Burkinis in einem öffentlichen Bad zu machen. Um zu provozieren. Um etwas auszuprobieren und die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber einem Burkini auszuloten.
Dann würde man Ihrer Einschätzung nach den Burka tragenden Frauen in Österreich mit einem Verbot einen Gefallen tun? Weil sie dann ein gutes Argument hätten, ohne Burka aus dem Haus zu gehen?
Ich glaube, dass sich muslimische Frauen in Europa anzupassen haben. Es kann nicht sein, dass wir in Europa die Uniform der Taliban dulden. Die Taliban machen den Frauen das Leben zur Hölle. Sie würden sie am liebsten aus dem öffentlichen Raum verbannen. Denn das ist der wahre Sinn der Ganzkörperverschleierung. Den Frauen soll die physische Existenz abgesprochen werden. Sie sollen nicht das Recht haben, physisch im öffentlichen Raum zu erscheinen.
Das ist die einzige Botschaft der totalen Verschleierung, die die islamische Welt so eigentlich nie gekannt hat. Das ist erst mit dem Salafismus gekommen – und zwar in den 80er- und 90er-Jahren. Zunächst in den Golfstaaten, dann haben die Taliban diese Idee übernommen. Es entspricht dem Vorwärtsschreiten des Salafismus, dass so eine Uniform plötzlich salonfähig geworden ist. Ich selbst habe als junge Frau in Saudi-Arabien gelebt und gearbeitet, selbst Ende der 70er-Jahre gab es niemals eine solch rigide Verschleierung der Frau, die die Welt nur von einem kleinen Spalt aus wahrnehmen darf und ansonsten eine amorphe schwarze Gestalt ist.
Würde ein Verbot bewirken, dass diese Frauen wieder am öffentlichen Leben teilhaben – ohne Burka?
Das ist gut möglich. Ein Verbot wäre ein klares politisches Zeichen an die Leute, die auf das Tragen der Burka beharren, und das sind nur die Salafisten. Damit sie verstehen, dass in Europa die Kommunikation zwischen Mann und Frau normal und auf Augenhöhe funktioniert. Und dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Denn Männer müssen sich ja auch nicht verschleiern. Und damit sie verstehen, dass Frauen hier das Recht haben, als Menschen wahrgenommen zu werden, nicht als schwarze Gestalten, die Kindern Angst machen. Wir können uns ja nicht einmal sicher sein, ob sich unter einer Burka tatsächlich eine Frau befindet. In Tunesien etwa wurden schon viele Männer verhaftet, die unter einer Burka Waffen geschmuggelt haben.
Was ist mit dem Argument, dass nach einem Verbot die betroffenen Frauen das Haus gar nicht mehr verlassen würden?
Das ist lächerlich. Denn Frauen, die sich in Europa aus Überzeugung verschleiern, sind nicht repräsentativ. Es gibt so wenige, dass diese Gruppe vernachlässigbar ist. Die Frauen agieren komplett ahistorisch. Denn in den mehrheitlich muslimischen Ländern gab es schon in den 20-er-Jahren eine bedeutende Frauenbewegung, die sich beispielsweise für das Recht auf Bildung, Selbstbestimmung und Arbeit stark gemacht hat. Den Frauen, die heute so eine Uniform tragen wollen und behaupten, das sei ihr freier Wille, habe ich nur eins zu sagen: Ich respektiere deinen freien Willen, aber bitte mach das bei dir zu Hause und belästige mich nicht im öffentlichen Raum. Denn der öffentliche Raum ist der Raum für alle. Das ist ein politischer Raum. In diesem Raum hat eine vollverschleierte Frau nichts zu suchen.
Dann halten Sie die Frauen, die in TV-Sendungen auftreten und sich für ihr Recht auf das Tragen einer Burka einsetzen, für eine von langer Hand geplante Strategie der Salafisten?
Die Salafisten gehen sehr geschickt vor. Sie beginnen als kleine Gruppe, treten dann aber immer aggressiver auf, weil sie wissen, wie ihre Themen in den Medien aktuell bleiben, für Schlagzeilen sorgen und sich in die Köpfe der Menschen einprägen. Ihre Strategie ist, für uns inakzeptable Dinge tröpfchenweise akzeptabel zu machen. Das funktioniert sehr stark über Bilder, die sie vermitteln. Daher treten diese Frauen in prestigeträchtigen Sendungen wie in jener von Anne Will auf. Denn allein durch ihre Anwesenheit dort entfalten sie so etwas wie Normalität. Auf diese Weise zwingen sie uns, etwas zu akzeptieren, das wir sonst nie akzeptieren würden.
Sie meinen, wie in den USA, wenn Verbrecher in der Oprah Winfrey Show auftreten, um ihr Image aufzupolieren?
Genau das meine ich. Die Salafisten wissen sehr genau, wie sie die Macht der Bilder für sich einsetzen können.
Was steht denn eigentlich im Koran zum Thema Verschleierung der Frau?
Gar nichts. Im Koran steht nichts von einem Kopftuch, geschweige denn von einer Burka oder Niqab.
Für ein Verbot eines Kopftuches, wie es zum Beispiel viele türkische Frauen tragen, sind Sie aber nicht, oder?
Nein, aber ich bin auch gegenüber dem Kopftuch sehr kritisch. Weil ich sehe, wie sich Organisationen in den vergangenen Jahren darum bemühen, das Kopftuch im öffentlichen Raum sichtbarer zu machen. Die zweiteiligen Kopftücher beispielsweise, um auch den Haaransatz zu verdecken, sind relativ neu, zehn oder 15 Jahre alt. Das gab es zuvor in der islamischen Welt nicht. Ich frage mich, woher man das abgeschaut hat. Vielleicht von den Nonnen, die sich ähnlich bedecken. Weil Sie die türkischen Frauen angesprochen haben: Man sollte sich schon fragen, warum immer mehr Türkinnen ein Kopftuch tragen. Denn das hat auch mit der Politik von Recep Tayyip Erdogan in der Türkei zu tun, der das Land schrittweise islamisiert. Die Türkei ist beispielsweise ein Mitglied der von Saudi-Arabien angeführten Islamischen Weltliga, was kaum einer weiß.
Sie bezeichnen die Burka bzw. den Niqab als Stoffgefängnis, Provokation und Symbol für die Unterdrückung der Frau. Diese Argumente sprechen eigentlich auch gegen das Kopftuch. Es gibt sicher nicht viele Frauen, die ein Kopftuch tragen und eine westliche, moderne Weltanschauung haben. Das ist wie bei Personen, die aus ethischen Gründen Vegetarier sind. Konsequenterweise müssten sie Veganer sein. So wie Sie konsequenterweise auch für ein Kopftuchverbot sein müssten.
Eigentlich haben Sie recht. Ich denke aber, dass es für ein Verbot zu spät ist. Wir hätten das Tragen eines Kopftuches vor 30 Jahren verbieten sollen, dann hätte es auch funktioniert. Aber wenn wir heute sagen, dass ab morgen keine muslimische Frau mehr ein Kopftuch tragen darf, gäbe es einen Riesenaufschrei der muslimischen Verbände und man würde mehr kaputtmachen, als man erreichen würde. Vor allem angesichts der Entwicklung in der Türkei, die gerade von einem laizistischen Staat in einen islamischen Staat umgewandelt wird. Ich forsche ja ein bisschen zu unseren Moscheen. Es gibt dort Zeremonien für Kinder zwischen sechs und 17 Jahren, bei denen ihnen ein Diplom überreicht wird, wenn sie Passagen aus dem Koran auswendig rezitieren können. Dabei tragen sie alle exakt identische Kopftücher. Der Gedanke einer Uniform, eines totalitären Systems ist also sehr präsent. Diese Mädchen werden so an das Kopftuch und an die Symbole des Islamismus herangeführt. Bei diesen Zeremonien sind beispielsweise auch Mädchen und Buben voneinander getrennt. Diese Geisteshaltung wird ihnen von Anfang an beigebracht. Eine solche Konditionierung habe ich nicht einmal in Tunesien gesehen.
Gehen wir bei den Verboten einen Schritt weiter. Es gibt christliche österreichische Frauen, die nicht viel von Gleichberechtigung halten, die sich für eine traditionelle, altmodische Rollenverteilung entschieden haben und das natürlich auch öffentlich propagieren und an ihre Kinder weitergeben wollen. Können wir das nicht auch verbieten?
Was genau sollten wir hier verbieten?
Das Vertreten einer solch unmodernen Einstellung.
Nein, das wäre ja Gesinnungsverfolgung. Irgendwann muss man schon Grenzen setzen. Ich kann niemandem vorschreiben, was er zu denken hat. Es wird nur dann ein Problem, wenn er im öffentlichen Raum etwas umgesetzt haben will.
Dann ist also der Unterschied zwischen einer Frau mit Kopftuch und einer Frau, die ich gerade beschrieben habe, im Wesentlichen der, dass die Frau mit Kopftuch öffentlich sichtbar ist – eben wegen des Kopftuchs? Denn für Fortschritt, Gleichberechtigung und Freiheit stehen ja beide nicht. Und Extremisten sind die Frauen mit Kopftuch auch nicht.
Das kann man so sagen.
Besonders sympathisch sind Ihnen die österreichischen Frauen, die sich gegen Gleichberechtigung aussprechen, aber nicht, oder?
Um Sympathie geht es nicht. Um ehrlich zu sein, kann ich sie sogar ein bisschen verstehen. Denn jede Medaille hat zwei Seiten, auch die Emanzipation hat problematische Facetten.
Inwiefern?
Insofern, als die sozialen Plätze und Rollen, die Männern und Frauen kulturell zugewiesen sind, plötzlich ins Wanken geraten und austauschbar werden. Man weiß nicht mehr, wie man sein Verhältnis zum anderen gestalten und welchen Platz man in der Gesellschaft einnimmt. Das kann weitreichende Folgen haben – auf Liebesbeziehungen etwa, Sexualität oder auf unser Selbstverständnis. Es ist kein Zufall, dass viele Demagogen mit dem Begriff Identität spielen. Denn man verliert ein Stück Orientierung. Daher werden wir zu inneren Migranten, sind einmal mehr Frau und einmal mehr Mann. Es ist schwierig, das Vertraute zu verlassen und etwas Neues, Anspruchsvolles zu riskieren. Da gibt es viele Frauen, die – auch aus Bequemlichkeit – in ihrer ihnen vertrauten Welt bleiben. Auch, wenn sie ein paar Haken haben mag. Denn in dieser Welt fühlen sie sich sicher, haben eine klare Bedeutung und Rolle.
Es gibt sicher auch bei den Taliban mächtige Frauen, die keine Veränderung haben wollen. Denn innerhalb dieses Regimes haben sie eine gewisse Autorität, die sie in einem anderen Land vielleicht nicht mehr haben. Auch, wenn sie dort theoretisch mehr Freiheiten hätten.
Da stimme ich Ihnen zu. Daher verkriechen sich viele, machen zu und verschleiern sich eben. Ich finde aber, dass die Frauen, die etwas riskieren und sich auf Veränderung einlassen, ethischer handeln. Vor ihnen habe ich mehr Respekt.
Zurück zur Verschleierung. Das Burkaverbot wurde einmal mit der Sklaverei verglichen. Sklaverei dürfe man auch nicht zulassen, selbst dann, wenn sich jemand freiwillig versklaven lassen will. Wie sehen Sie das? Darf man jemandem verbieten, ein Sklave zu sein?
Das ist eine philosophische Frage. Wir leben in einer Zeit, in der es keine Sklaverei geben darf. Wobei wir neue Formen der Sklaverei installiert haben. Wenn wir unsere Kleider in Kambodscha von kleinen Kindern herstellen lassen, die ums Überleben kämpfen, betreiben wir eine moderne Form von Sklaverei. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Das ist die dunkle Seite der Demokratie. Wenn sich jemand zu Hause versklaven lassen will, hätten wir gar keine rechtsstaatlichen Mittel, um etwas dagegen zu unternehmen. Das wäre sein demokratisches Recht.
Saïda Keller-Messahli ist eine der bekanntesten Islamexpertinnen in der Schweiz und wurde 2016 mit dem Schweizer Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Sie ist die Gründerin des Forums für einen fortschrittlichen Islam.