01 Verschleierung im Islam

Perspektiven Integration

„Religionsfreundlich, aber gleichzeitig religionsneutral“

Interview mit Heinz Faßmann

Heinz Faßmann spricht sich für eine weltanschauliche Neutralität im öffentlichen Dienst aus. Er warnt vor einem Rückfall in eine Integrationspolitik der Unklarheit, nachdem in den vergangenen Jahren viele Fortschritte erzielt worden sind.

Sie haben sich für ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst ausgesprochen. Was ist Ihre Intention dahinter?

Darf ich präzise sein? Ich wurde in einem Interview in den „Salzburger Nachrichten“ gefragt, worauf die Politik in den kommenden Jahren zu achten hat. Meine Antwort darauf war, dass der Staat als Arbeitgeber vor dem Hintergrund einer zunehmend pluralistischen und multireligiösen Gesellschaft auf ein weltanschaulich, ideologisch und religiös neutrales Verhalten ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen achten sollte. Und auf die Nachfrage, ob eine Lehrerin in öffentlichen Schulen ein Kopftuch tragen darf, sagte ich „nein“, es sei denn, sie unterrichtet islamischen Religionsunterricht. Meine Meinung stützt sich dabei auf eine Analyse der deutschen Rechtsprechung zur Frage der religiösen Kleidungsvorschriften im staatlichen Bereich. Nachzulesen ist diese Analyse im Jahresgutachten des deutschen Sachverständigenrates, an dem ich mitgearbeitet habe und das den bezeichnenden Titel „Viele Götter, ein Staat“ trägt.

Darin werden viele religiös bedingte Arbeitskonflikte dargestellt.

Unter anderem auch der Fall einer muslimischen Lehrerin und einer muslimischen Sozialpädagogin aus Nordrhein- Westfalen, die dagegen geklagt haben, dass ihnen das Tragen eines Kopftuches im Dienst untersagt war. In dem Fall, der wichtigste der letzten Jahre, hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, dass ein bestimmtes Bekleidungsverhalten, das die Betroffenen als Teil ihrer Religionsfreiheit betrachten, generell nicht zu verbieten ist. Es darf nur dann untersagt werden, wenn der konkrete Schulfrieden vor Ort in Gefahr ist. Die Entscheidung, wann der Schulfrieden gestört ist, hat die Schulverwaltung zu treffen. Das Tragen von religiösen Symbolen wird also mit dem unscharfen Begriff des Schulfriedens in einem Zusammenhang gebracht und die Neutralität des staatlichen Erziehungsauftrags als Gegengewicht zur Religionsfreiheit der Lehrerin – im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung – nicht beachtet. Und darüber, wann der Schulfrieden gestört ist und die Lehrerin das Kopftuch abzunehmen hat, entscheidet die Schulverwaltung vor Ort – eigentlich eine Zumutung. Das Urteil schafft nämlich mehr Unklarheit als Klarheit und zeigt sehr deutlich, dass diese Frage nicht juristisch, sondern politisch zu entscheiden ist. Die Gerichte alleine, die sich mit der Abwägung der aus dem Glaubensverständnis abgeleiteten Ansprüchen und anderen Interessen auseinandersetzen müssen, können dieses Verhältnis nicht alleine klären.

In welchen Bereichen/Berufen genau sollte dieses Verbot gelten? Wäre das ein reines Kopftuchverbot oder ein Verbot von religiösen Symbolen? Müssten dann also die Kippa, Nonnen- und Mönchskutten im öffentlichen Dienst auch verboten werden? Bzw. das Kreuz in den Klassenzimmern?

Bei diesen präzisen Fragen möchte und muss ich passen. Sie sind zu früh gestellt. Zuerst muss eine unaufgeregte politische Diskussion klären, wie der religionsfreundliche, aber gleichzeitig auch religionsneutrale Staat mit neuen und alten Ansprüchen umgeht. Davon ist die Frage des Tragens des Kopftuches ein Aspekt. Und dabei gilt es, unterschiedliche Rechte abzuwägen: die Religionsfreiheit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im öffentlichen Dienst und das grundsätzliche Neutralitätsgebot der öffentlichen Hand. Dabei kann man sicherlich differenzierte Abwägungen finden. Das Neutralitätsgebot ist bei Tätigkeiten in der Verwaltung anders zu gewichten als bei der Justiz oder im Schulwesen. Aber das ist zu diskutieren und das möchte ich einmahnen. Der Bauplan einer funktionierenden und auch religiös vielfältigen Einwanderungsgesellschaft ist noch nicht abgeschlossen und gerade die heiklen Fragen, die etwas mit dem Glauben zu tun haben, sind noch teilweise ausgespart.

Wie bewerten Sie die öffentliche Diskussion über ein etwaiges Kopftuchverbot nach Ihrem Vorstoß bzw. nach der Rückendeckung durch Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, der Ihren Vorschlag gleich aufgenommen hat? Haben Sie mit so viel Aufmerksamkeit und Wirbel gerechnet?

Nein, nicht in dem Ausmaß, wobei es viel Kritik, aber noch mehr Zustimmung gegeben hat. Der Wirbel hat deutlich gezeigt, dass es in dem Bereich eben großen Klärungsbedarf und gegensätzliche Meinungen gibt. Ich empfinde die weltanschauliche, ideologische und religiöse Neutralität im Auftreten beispielsweise der Lehrer und Lehrerinnen im öffentlichen Schulbereich und zwar außerhalb des bekenntnisorientierten Unterrichts als eine Selbstverständlichkeit, die islamische Glaubensgemeinschaft als eine Anmaßung. Ich kann als Wissenschaftler einen Beitrag leisten zur Klärung dieser normativen Frage, die von der Politik aufzugreifen und zu klären ist. Und man kann sie nur ermutigen, in dem Bereich einen Klärungsprozess einzuleiten, klarerweise auch unter Einschluss der Glaubensgemeinschaften, der Eltern- und Lehrervertreter und anderer Interessensgruppen. Wir sollten nicht wieder in eine Integrationspolitik der Unklarheit zurückfallen, nachdem in den vergangenen Jahren viele Fortschritte erzielt worden sind.

Einige ehrenamtliche Integrationsbotschafter haben angekündigt, aus Enttäuschung über die Forderung nach dem Kopftuchverbot von Sebastian Kurz aussteigen zu wollen. Was sagen Sie diesen Personen?

Besonnen bleiben und die grundsätzliche Frage beachten. Es geht um den Geltungsanspruch objektiv vorgegebener oder subjektiv empfundener Glaubensvorschriften und um die weltanschauliche, ideologische und religiöse Neutralität des Staates, vertreten durch die dort tätigen Lehrer, Polizisten, Richter, Staatsanwälte und so weiter. Wie können diese beiden Aspekte zusammengebracht werden? Eine alles andere als triviale Frage, aber eine wichtige Frage. Integrationsbotschafter können sich aufgrund ihrer Lebenserfahrung einbringen und sollten nicht aussteigen.

Für ein generelles Verbot vom Kopftuch im öffentlichen Dienst sind Sie nicht, oder?

Ich bin für eine grundsätzliche Diskussion darüber und erwarte, dass am Ende der Diskussion eine differenzierte Vorgangsweise steht.

Die Mehrheit der muslimischen Frauen ist nicht verschleiert. Dennoch wird eine Muslimin sehr stark mit dem Kopftuch assoziiert. Warum?

Ich bedauere, dass die Vielfalt des Islam in der öffentlichen Debatte nicht immer sichtbar wird. Die aufgeregten Reaktionen der vergangenen Wochen haben das Bild des Islam als monolithischen Block abermals nachgezeichnet. In Wirklichkeit gibt es eine breite Palette von konservativ Gläubigen, von liberal Eingestellten, von Sunniten und Aleviten und vielen anderes mehr. Aber diese Vielfalt bildet sich im öffentlichen Diskurs nicht ab. Damit ergibt sich ein Stereotyp und ein in den Medien immer wieder gezeigtes Bild der muslimischen Frau mit Kopftuch und langem Mantel, die einen Schritt hinter ihrem Ehemann einhergeht und einen Kinderwagen schiebt – leider. Es wäre auch eine Aufgabe der Medien, bei der Auswahl der Einzelbeispiele und Interviewpartner sorgsam umzugehen, um die Pluralität der Muslime in Österreich zu reflektieren.

Sollte Europa generell selbstbewusster gegenüber dem konservativen Islam auftreten?

Wenn mit „selbstbewusst auftreten“ mehr Verbote und Vorschriften gemeint sind, dann zögere ich. Der liberale Staat muss sparsam mit solchen Verboten und Vorschriften umgehen, sonst gefährdet er den eigenen liberalen Kern. Ich zögere weniger, wenn Grundrechte anderer durch religiös legitimierte oder aus der Tradition heraus begründete Verhaltensweisen gefährdet sind. Die frühe Verheiratung von Mädchen oder die ungleiche Verteilung der Bildungschancen sind nicht mit einem auf Gleichheit abzielenden Gesellschaftsmodell in Einklang zu bringen. Sachgerechte Interventionen der öffentlichen Hand erscheinen in solchen Fällen legitim. Um Wege zueinander zu finden, ist aber nicht nur „Europa“ gefordert, sondern die islamischen Glaubensgemeinschaften selbst. Sie müssen sich in einer säkularen und offenen Gesellschaft einbringen. Islam europäischer Prägung lautet in dem Zusammenhang das Schlagwort. Konkret heißt das eben auch, dass eine gewisse Pragmatik – auch in der „Kopftuchfrage“ – einzufordern ist, um den Gläubigen die Integration in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu erleichtern. Das sollte immer auch möglich sein, denn der Mensch und sein Wohlergehen stehen schließlich im Mittelpunkt jeder Religion.

Hat diese Debatte der Integration und der Wahrnehmung der Muslime in Österreich geschadet?

Ja und nein. Auf der einen Seite mutierte mein sachlich eng begrenzter Punkt – wie halten wir es mit weltanschaulichen, ideologischen und religiösen Symboliken bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im öffentlichen Dienst – in kurzer Zeit zu einer undifferenzierten Diskussion über das Kopftuch, den Islam, die Zuwanderung und die unfähige Politik. Auf der anderen Seite hat die Diskussion deutlich gemacht, dass diese heiklen Punkte noch anzugehen sind. Der Bauplan der Einwanderungsgesellschaft ist noch nicht fertig konzipiert. Wenn das in Zukunft geschieht, dann hat die Diskussion auch zu etwas Nützlichem geführt.

Heinz Faßmann ist Vorsitzender des Expertenrates für Integration des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres, Obmann der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Akademie der Wissenschaften und Gründungsmitglied des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Migration und Integration (bis 2016).

 

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